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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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Stille beunruhigte die Leute.
    »Irgendetwas Besonderes? Irgendeine Gefahr?«
    So hörte er es allenthalben. Er selbst gab keine Antworten. Das taten dafür die Stewards, die auf den Gängen waren.
    »Nicht im Geringsten, Sir! Kein Anlass zur Beunruhigung, Madam! Gehen Sie ruhig wieder zu Bett!« So kam es aus unberufenem Munde zurück.
    Einer der Stewards hatte die Tür zur Mannschaftstreppe offen stehen lassen, durch die er in den Kabinengang gekommen war, und einem spontanen Antrieb folgend ging Carran durch die offene Tür und stieg über die Mannschaftstreppen hinab in die Tiefe. Als er das Zwischendeck erreichte, tief im Schiff und nahe dem Bug, sah er, dass das Wasser Pfützen auf dem Boden bildete. Er eilte weiter. Das Postamt der Titanic erstreckte sich über zwei Decks. Die beiden Etagen waren durch eine breite Eisentreppe miteinander verbunden, die vom G-Deck zum F-Deck und den anderen Decks führte. Im Gepäckraum gluckste das Wasser. Die Postangestellten hatten nasse Hosen. Sie rissen Witze über das durchnässte Gepäck und stellten Vermutungen darüber an, was wohl in den Briefen stand, die in dem verlassenen Postraum herumschwammen. Es herrschte eine fast fröhliche Stimmung.
    Er müsste eigentlich noch tiefer in das Labyrinth der Gänge, sagte sich Carran, doch er kehrte zunächst zum Treppenhaus zurück. Als er sich anschickte, die noch tiefer führende Treppe zu betreten, erblickte er unter sich Kapitän Smith zusammen mit Andrews, dem Chefkonstrukteur der Titanic, die durch eine Tür, die zu den Mannschaftstreppen führte, in den allen Passagieren zugänglichen Bereich zurückgekehrt waren. Er blieb stehen. Die beiden bemerkten ihn nicht.
    »Das Schiff ist drei Meter über dem Kiel in einem Drittel seiner Länge in großen Teilen aufgeschlitzt«, hörte er Andrews sagen.
    »Was bedeutet das?«, fragte der Kapitän.
    Der Chefkonstrukteur Andrews sagte:
    »Die Titanic wird untergehen.«
    »Wie lange hat sie noch?«
    »Ich gebe ihr noch eineinhalb, höchstens zwei Stunden.«
    »Mein Gott!«, sagte der Kapitän, und mein Gott, dachte Carran und wich vorsichtig zurück.
    Gleich darauf eilten Smith und Andrews an ihm vorbei nach oben.
    Carran wusste genug und stieg wieder die Treppen hinauf, und dabei hatte er das Gefühl, dass der Aufstieg schwierig war und seine Füße nicht dorthin trafen, wohin sie hätten treffen sollen, die Treppe hatte sich also geneigt. Er eilte zu der Kabine von Gladys, klopfte lautstark gegen die Tür und rüttelte an der Klinke. Vergeblich, sie schien noch immer nicht in ihre Kabine zurückgekehrt zu sein.
    Er dachte an ihren Widersacher, an ihren unbekannten Feind, an Jack the Ripper, den Prostituiertenmörder, an die dubiosen Okkultisten, die das Schiff bevölkerten, und ein Gefühl der Verzweiflung krampfte ihm das Herz zusammen. Was, wenn Gladys leblos in einer Kabine lag, in der eigenen oder in einer anderen Unterkunft? War sie ein Opfer dieses maskierten Schuftes geworden, der sie verfolgte? Aber wo auf dem Schiff sollte er nach ihr suchen? Warum hatte er auch arbeiten müssen und war nicht bei seiner Geliebten geblieben. All seine Bemühungen hatten nichts genützt, das Ereignis, das er hatte verhindern sollen, war trotzdem geschehen.

7. Kapitel
Montag, 15. April 1912
     
    Unschlüssig kehrte Carran an Deck zurück, wo Kapitän Smith seine Offiziere um sich versammelt hatte.
    »Mr. Wilde, lassen Sie die Rettungsboote klarmachen«, sagte der Kapitän. »Mr. Murdoch, lassen Sie die Passagiere wecken! Befehlen Sie ihnen, Rettungswesten anzulegen und sich auf dem Deck zu sammeln. Die nicht im Dienst befindlichen Offiziere sollen sofort hier oben erscheinen.« Der Kapitän entfernte sich. Er schlug den Weg zur Funkerkabine ein, die an der Backbordseite des Bootsdecks lag.
    Carran verließ das Bootsdeck und suchte seine Kabine auf, wo er sich einen Pullover, eine feste Jacke und darüber die Schwimmweste anzog, und, einem plötzlichen Impuls folgend, steckte er auch seine Pistole ein.
    Auf dem Bootsdeck hatten sich die ersten Passagiere in der eisigen Nacht versammelt, in Abendanzügen, in Pelzmänteln oder in Bademänteln, wie es sich gerade ergeben hatte. Die Nachricht, dass mit dem Schiff etwas nicht stimmte, sprach sich allmählich herum.
    Mr. Stead, der bekannte Spiritist und Verleger, war zu sehen, und Carran hörte, wie er den nicht minder bekannten amerikanischen Maler Frank Millet fragte, was geschehen sei.
    »Eisberge«, antwortete Millet einsilbig.
    »Soso.«

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