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Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
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    »Gehen Sie vorn auf der Steuerbordseite nach unten und stellen Sie das Ausmaß des Schadens fest. Machen Sie mir sofort Meldung!«
    Boxhall verschwand.
    Carran stand noch unschlüssig am oberen Ende der Treppe, als er merkte, dass das immerwährende verlässliche Vibrieren der Motoren urplötzlich aufgehört hatte und es keinen Fahrtwind mehr gab. Die Maschinen hatten gestoppt.
    Reglos und erhaben lag die Titanic auf dem schwarzen Spiegel der See. Im Vorschiff rauschte und gurgelte das Wasser, aber ansonsten war es still. Ein paar Neugierige wanderten ziellos umher und starrten in die leere Nacht hinaus in der Hoffnung, irgendwo Aufschluss über die Ursache der Störung zu finden.
    In diesem Moment erblickte Carran den Reeder Ismay, der neben ihm auf der Treppe aufgetaucht war und auf den Kapitän zueilte.
    »Was ist passiert?« Er starrte den Kapitän an, als hätte er ein Recht auf eine Antwort. »Haben wir ein Blatt des Propellers oder die Schraube verloren? Es hörte sich in meinen Ohren so an!«
    Der Kapitän beachtete ihn kaum.
    »Wir haben einen Zusammenstoß gehabt«, sagte er schließlich dumpf.
    »Glauben Sie, dass das Schiff ernsthaft beschädigt ist?«, fragte Ismay.
    »Ja, das glaube ich«, sagte der Kapitän.
    Die Reaktion des Schiffsführers machte deutlich, dass dieser schon begriffen hatte, was auch Carran selbst ahnte: Es war etwas sehr Ernstes geschehen. Der Kapitän war schon zu lange auf See, um nicht das Gespür dafür zu besitzen, ob ein Ereignis harmlos oder gefährlich war, auch wenn er das genaue Ausmaß des dadurch entstandenen Schadens noch nicht kannte, und Smith hatte instinktiv erkannt, dass sich sein Schiff in ernsthafter Gefahr befand.
    Der Offizier Boxhall kam auf die Brücke gelaufen.
    »Ich habe alle Decks durchstreift, aber keinen Schaden festgestellt.«
    »Dann wiederholen Sie die Inspektion!«, sagte Kapitän Smith scharf. »Nehmen Sie den Schiffszimmermann mit!«
    Kaum hatte Boxhall die Brücke verlassen, als der Zimmermann auch schon außer Atem angelaufen kam, sodass er Carran fast umgerissen und mit Boxhall fast zusammengeprallt wäre. »Großes Leck!«, keuchte er. »Das Wasser dringt schnell ein.«
    Der Kapitän atmete tief durch, dann wandte er sich um und verließ die Brücke, und Carran hörte noch, wie er zu irgendjemandem sagte:
    »Holen Sie Andrews!«
    Der Reeder Ismay eilte hinter dem Kapitän her. Carran wusste, dass Andrews der Chefkonstrukteur der Titanic war und einer der wenigen an Bord, die das Innere des Schiffes wirklich kannten, und vielleicht auch der einzige Mensch an Bord, der beurteilen konnte, welche Auswirkungen eine Beschädigung des Schiffes hatte.
    Er blickte sich um. Alle Lichter auf dem Schiff leuchteten. Aus den Schornsteinen quoll der Qualm der gelöschten Feuer, und aus den Überdruckventilen fauchte der Dampf, den die Kessel nicht mehr in die Maschinen schickten.
    Carran dachte wieder an seine Geliebte. Möglicherweise war Gladys unpässlich geworden, sagte er sich zum wiederholten Mal, und hatte sich an ein stilles Örtchen zurückgezogen, aber seine Überlegungen verhinderten nicht, dass seine Unruhe vehement wuchs und er sich inzwischen ernsthaft Sorgen um sie machte. Die Tatsache, dass die Titanic mit einem Eisberg zusammengestoßen war, machte die Situation nicht leichter. Er ging nach Backbord. Sein geschultes Auge bemerkte, dass die Titanic eine leichte Schlagseite bekommen hatte. Er musste seine Liebste nun unverzüglich finden.
    Ein paar frierende Gestalten waren an Deck gekommen. Die ungewöhnliche Stille, die das Verstummen der Motoren bewirkte, hatte die Leute geweckt.
    »Sicherlich wird es gleich weitergehen«, sagte jemand zu Carran und lächelte ihn irritiert an.
    »Ja, wahrscheinlich«, sagte dieser und wandte sich um. Vielleicht hatte die Stille auf dem Schiff auch Gladys an Deck getrieben, überlegte er und stieg eine Treppe hinab.
    Auf dem Welldeck im vierten Stock ging es fröhlich zu. Dort hatte der Eisberg ein paar Tonnen Eis abgestreift. Fußballgroße Brocken lagen verstreut auf dem Deck. Einige Passagiere warfen sie übermütig hinab in das schwarze Wasser.
    Er bewegte sich zurück zu den Räumen der ersten Klasse.
    Auf den Gängen hatten sich vereinzelt Kabinentüren geöffnet. Der eine oder andere Passagier war aufgestanden, hatte sich einen Morgenmantel übergeworfen und spähte in den Korridor, um zu erfahren, was geschehen war. Das Geräusch der Kollision hatte kaum jemand gehört, doch die merkwürdige

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