Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todeseis

Todeseis

Titel: Todeseis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernward Schneider
Vom Netzwerk:
Stead zuckte die Achseln, blickte sich um und schaute einen Moment grübelnd zum Horizont. »Wird schon nicht so schlimm sein«, sagte er schließlich. »Ich gehe wieder in meine Kabine und lese.«
    Die Matrosen begannen nun tatsächlich damit, die Rettungsboote klarzumachen, und Carran entdeckte Officer Lightoller auf der Backbordseite bei den Booten, der den Eindruck machte, über den Ernst der Lage unterrichtet zu sein. Eine Zeit lang beobachtete Carran ihn, wie er einige der Boote inspizierte. Er gab sich kühl, umsichtig und überlegt, ganz der Mann, der seine Offizierspflichten bis aufs i-Tüpfelchen kannte. Auch der Reeder Bruce Ismay stand bei den Booten und sah ihm dabei zu. Weitere Matrosen und auch ein paar Heizer mit schwarzen Gesichtern kamen auf das Deck und postierten sich bei Lightoller, als warteten sie auf Befehle von ihm. Sicher war großen Teilen der Besatzung bekannt, dass die Rettungsboote nicht für alle Passagiere reichten. Ismay wusste es, und wahrscheinlich, dachte Roger, hatte er von Smith erfahren, wie es wirklich um das Schiff stand. An eine ernste Gefahr für das Schiff schien aber außer den Eingeweihten niemand zu denken.
    »Gehen Sie wieder nach unten«, sagte Lightoller zu den Heizern. »Hier oben werden Sie nicht gebraucht.«
    Die Männer mit den schwarzen Gesichtern entfernten sich.
    »Wie viele Bootsplätze sind vorhanden?«, fragte Ismay.
    »Die 14 Boote an der Backbord- und Steuerbordseite nehmen jeweils 65 Personen auf«, erwiderte Lightoller kalt. »Dazu haben wir auf dem Vorderdeck noch zwei kleinere für jeweils 40 Personen und die vier Faltboote, in denen 47 Personen Platz finden.«
    Obwohl Ismay wusste, dass höchstens für die Hälfte der Passagiere Platz in den Rettungsbooten war, hatte er sich wohl noch einmal vergewissern müssen, dass dies stimmte, als hoffte er darauf, sich geirrt zu haben.
    Auf Lightollers Befehl hin entfernten die Matrosen die Planen, schlugen die Sicherungskeile weg und drehten mit Kurbeln die Schwingen der kleinen Stahlkräne, bis die Boote frei über die Bordwand hinaus hingen.
    Die Schornsteine ließen brüllend Dampf ab. Es war ein scheußliches Fauchen und Zischen der riesigen Überdruckventile, die den Dampf aus den Kesseln in die Nachtluft bliesen, ein Lärm wie von tausend Lokomotiven, die auf einem Bahnhof standen. Aber das war der einzige Lärm, der herrschte, es gab keine schrillen Glockenzeichen, keine Sirenen, keinen allgemeinen Alarm. Lightoller rief Frauen und Kinder herbei. Aber es kam kaum jemand.
    Als Carran zur Seite blickte, sah er einen Mann, der einen grünlichen Tweedanzug mit Weste trug und eine Fotokamera umgehängt hatte, auf sich zukommen. Auf seinem Gesicht lag ein fragender Ausdruck.
    »Sie sind Mr. Carran?«, fragte der Mann.
    »Ja, und Sie sind Mr. Raubold, nehme ich an?«
    Sie gaben einander die Hand. »Jemand erzählte mir, Sie hätten nach mir gesucht?«, erwiderte Raubold.
    Carran gab ihm mit der Hand ein Zeichen und wandte sich dann ein Stück zur Seite, und der Reporter folgte ihm.
    »Was ist denn hier los?«, fragte Raubold.
    »Haben Sie Mrs. Appleton gesehen?«
    »Sie war auf dem Ball in einem der Salons. Ich war ein paar Minuten fort, und als ich zurückkehrte, habe ich sie nicht mehr gesehen, weshalb ich dachte, sie sei zu Bett gegangen. Es wundert mich, dass ausgerechnet Sie mich nach ihr fragen.«
    »Ich suche sie schon seit fast einer Stunde. Sie ist wie vom Erdboden verschluckt, auch in ihrer Kabine scheint sie nicht zu sein. Die Tür ist verschlossen. Mit wem haben Sie sie zuletzt gesehen?«
    »Sie saß die meiste Zeit mit mir zusammen am Tisch. Sie tanzte ausgelassen mit mir, aber auch mit ein paar anderen Herren. Alle haben sie bewundert. Sie war allein, als ich den Salon für eine Weile verließ. Bei meiner Rückkehr fand ich sie nicht mehr vor. Um Viertel nach elf ging ich selbst in meine Kabine, und ich hatte mich kaum schlafen gelegt, als ich dieses Scheppern hörte, als ob man den Anker heruntergelassen hätte. Zunächst dachte ich, es sei ohne Bedeutung, aber als dann die Maschinen stoppten, wurde ich unruhig und bin schließlich aufgestanden. Was ist denn los mit dem Schiff?«
    »Die Titanic ist mit einem Eisberg kollidiert«, sagte Carran leise. Er blickte sich um und fügte dann hinzu: »Behalten Sie es vorerst für sich, damit hier an Bord keine Panik ausbricht. Der Chefkonstrukteur Andrews hat das Todesurteil gefällt. Die Titanic wird sinken. Sie hat noch etwa eineinhalb

Weitere Kostenlose Bücher