Todesengel (Gesamtausgabe)
den Ausführungen des Juristen das Lachen verkneifen, weil er sich an etliche Fälle erinnern konnte, in denen der 56-jährige Oberstaatsanwalt mit seiner Geschwätzigkeit die Ermittlungen behindert hatte, aber Sauerbrei galt wegen der mit viel Lokalkolorit versehenen Kriminalromane, die er in seiner Freizeit verfasste, als Liebling des LKA-Bosses und deshalb war es nicht ratsam, sich vor aller Augen über ihn lustig zu machen. Auch nicht für den Hauptkommissar, der wegen seiner unbestreitbaren Erfolge Narrenfreiheit bei seinen Vorgesetzten genoss. Becker riss sich also zusammen, starrte angestrengt in die Luft und nickte schließlich brav, als der Oberstaatsanwaltjovial lächelnd das Wort an ihn weitergab und sich, berauscht von seiner Rede, entspannt zurücklehnte. Erst wenn der fachliche Teil abgearbeitet war, würde er die Gesprächsführung wieder übernehmen und die Pressekonferenz vorstrukturieren, weil er sich notfalls alles aus der Hand nehmen ließ, aber nicht die Kontakte zu den Medienvertretern.
Becker musterte, ehe er zu sprechen anfing, die angespannten Gesichter der Versammlungsteilnehmer, ertappte sich dabei, dass sein Blick länger als nötig bei Mirjam Berndt haften blieb und spürte, dass die Oberkommissarin sich über seine heimliche Zuwendung freute. Er fragte sich seit der Weihnachtsfeier des LKA immer wieder, ob es bei dem harmlosen Flirt mit der viel jüngeren Kollegin bleiben oder sich das Ganze zu einer richtigen Affäre auswachsen würde, konnte sich bei der notorischen und bisher fast immer unbegründeten Eifersucht seiner Frau einen Seitensprung eigentlich nicht leisten, aber wenn Carmen noch länger bei ihrer Mutter im Westen des Landes blieb, konnte er für nichts garantieren, dazu kribbelte es viel zu sehr in seinem Bauch, wenn er an die Oberkommissarin dachte. Dabei war er, darüber konnte es keinen Zweifel geben, mit Carmen glücklich verheiratet und die Töchter Annette und Juliane, die eine 15, die andere 10 Jahre alt, schweißten den Bund seiner Ehe noch enger zusammen.
Aber er war natürlich aus dem Honeymoon in den 80-er Jahren längst heraus und deshalb nahezu zwangsläufig empfänglicher für die Reize einer frisch erblühten Frau, als ihm und womöglich auch seiner Ehe gut tat. Becker spürte eine gewisse Unruhe in der Runde, straffte seinen Oberkörper und fragte zunächst Gerstenmaier, wann mit den ersten Ergebnissen der Obduktion zu rechnen sei. Der bayrische Pathologe zierte sich zunächst, legte sich dann aber auf den nächsten Morgen fest und der Hauptkommissar wandte sich als Nächstes den Technikern zu, für die Justus Franz das Wort ergriff. Es gebe leider, führte der schmächtige Mann aus, so gut wie keine verwertbaren Spuren vom Tatort, weder Fingerabdrücke, die nicht dem Toten zuzuordnen seien noch Haare oder Hautpartikel, die sich für eine DNA–Analyse eigneten, von irgendwelchen Körperflüssigkeiten ganz zu schweigen. Noch seien die Untersuchungen aber nicht abgeschlossen und so könne er nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob es sich beim Täter um einen Mann oder eine Frau handele.
„Eher um einen Mann, wenn ich an die Dehnung des Afters von Engholm denke!“, brummte Gerstenmaier und errötete heftig, als ihn der Oberstaatsanwalt missbilligend ansah, worauf Becker wieder das Heft des Handelns an sich riss und von den ersten Recherchen seines Teams berichtete, dabei weder die Spur ins Homosexuellenmilieu aussparte noch die verdächtige Parallelität zum Mordfall in Hamburg.
In diesem Moment platzte Debora Stütze, die langjährige Sekretärin von Frankenstein, in die Besprechung undüberreichte ihrem Chef ein Fax, das dieser mit gekrauster Stirn durchlas und dann an Becker weiterleitete. Der überflog den Text, zog dabei die Augenbrauen hoch und wandte sich anschließend an den Kriminaloberrat:
„Sieht doch nach einer Beziehungstat unter Schwulen aus, oder?“ Frankenstein nickte und antwortete:
„Wenn sich Engholm gestern nach dem Dienst wirklich, wie von ihm gegenüber Kollegen geäußert, mit einem alten Freund in einer Pension am Spandauer Damm treffen wollte, spricht viel dafür, dass der große Unbekannte unser Mann ist, es sei denn, dass er für die Tatzeit ein wasserdichtes Alibi hat! Aber noch wissen wir nicht, wie dieser Freund heißt und dürfen die anderen Aspekte der Ermittlungen nicht vernachlässigen!“
Becker dankte seinem Chef für den Redebeitrag, las anschließend den Text vor, der dem LKA zugefaxt worden war und fragte den
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