Todesengel (Gesamtausgabe)
ernsthaft gesorgt und sogar eine Vermisstenanzeige erwogen, aus Angst vor einer Blamage aber von diesem Schritt abgesehen und stattdessen vor sich hin gegrübelt. Darüber war sie in den frühen Morgenstunden eingedöst, um 8 Uhr aber schweißgebadet von einem Klopfgeräusch hoch geschreckt. Voller Vorfreude war sie zur Wohnungstür geeilt und hatte sie schwungvoll geöffnet, doch stand nicht, wie erwartet, Peter vor ihr, sondern eine junge Polizistin, die ihr mit traurigem Gesicht die Nachricht vom gewaltsamen Tod ihres Mannes übermittelte und sie zur Identifizierung der Leiche zum Tatort bringen sollte.
Was, so fragte Klara sich, hatte Peter gestern Abend im Ruhwaldpark zu suchen gehabt und was würde sie außer dem Mordopfer am Tatort zu sehen bekommen? Die üblichen Schaulustigen? Die Haie von der Boulevardpresse, für die der gewaltsame Tod eines hohen Tiers der Berliner Verwaltung bestimmt ein gefundenes Fressen war? Herum wuselnde Kriminalisten und einen Arzt, der für sie schon eine Beruhigungsspritze bereit hielt? Und welche Rolle würde sie in diesem Stück spielen, das als griechische Tragödie angelegt war? Den Part der ob des Todes ihres Gatten ungerührten, gefühlskalten Frau? Gar der Meuchelmörderin mit dem Dolch im Gewande? Oder doch der erschütterten Witwe, die sich im letzten Akt entleibte, um dem Geliebten in den Hades zu folgen?
Sie war so sehr in Gedanken, dass sie die Außenwelt erst wieder wahrnahm, als die Polizistin den Wagen zum Stehen brachte und ihr beim Verlassen des Fahrzeugs half. Dann war sie auch schon, wie befürchtet, dem Blitzlichtgewitter der Fotografen ausgesetzt und hatte noch Glück im Unglück, weil eine junge Frau die Situation richtig erkannte und die pietätlosen Bildreporter wie lästige Fliegen verscheuchte.
„Ich bring Sie erst mal zum Doc!“, merkte ihr Schutzengel danach nonchalant an und dirigierte sie mit sanftem Druck zum Gerichtsmediziner, der sich nach ihrem subjektiven Befinden erkundigte und sie schließlich zu ihrem immer noch im Gras liegenden Gatten führte.
„Ist das Ihr Mann?“, fragte er zaghaft und sie nickte fast unmerklich, schwankte hin und her und brach dann zusammen, mit der Folge, dass er erste Hilfe leisten und sich um sie kümmern musste, bis ein Notarztwagen kam und sie ins nahe Westendkrankenhaus brachte.
In den wenigen Sekunden vom ersten Anblick des Mordopfers bis zu ihrem Kollaps war für Klara Engholm eine Welt zusammengebrochen. Dass sie ihren Gatten tot vorfinden würde, war ihr letztlich klar gewesen, aber dass er in zerrissener Reizwäsche steckte und es offensichtlich mit einem Kerl getrieben hatte, brachte sie fast um den Verstand. Hatte sie nicht immer versucht, ihrem Mann eine gute Ehefrau und Geliebte zu sein? Und dann der gute Ruf der Familie! Ruiniert für alle Zeiten! Was würden die Töchter ihr wohl vorhalten, wenn das Foto des toten Vaters die Titelseiten der Tageszeitungen schmückte? Und wer würde ihr glauben, dass sie von seinen abartigen Neigungen nicht gewusst hatte? Bei diesen Gedanken hatte das gemarterte Gehirn angefangen, verrückt zu spielen und als ihr zu allem Überfluss auch noch das Stichwort Aids eingefallen war, hatte es endgültig einen Kurzschluss in ihrem Kopf gegeben...
7.
Drei Stunden nach dem Kollaps der Witwe Engholm traf Beckers Team zu einer ersten ausführlichen Lagebesprechung zusammen, an der auch Frankenstein, die vom stundenlangen Einsatz im Ruhwaldpark durchgefrorenen Kriminaltechniker Franz und Enz, Dr. Gerstenmaier vom Gerichtsmedizinischen Institut an der Charité und Oberstaatsanwalt Sauerbrei teilnahmen.
Der Kriminaloberrat überließ seinem Stellvertreter wie üblich die Moderation, erteilte aber vorab dem Vertreter der Anklage das Wort, der für den späten Nachmittag eine Pressekonferenz anberaumt hatte, um die Medienvertreter rechtzeitig vor Redaktionsschluss der am nächsten Tag erscheinenden Zeitungen auf seine Sicht der Dinge einzustimmen. Sauerbrei betonte mehrmals die Priorität des anliegenden Mordfalls, versprach, die Ermittlungen tatkräftig zu unterstützen und bat abschließend um größtmögliche Diskretion gegenüber der Öffentlichkeit, um den bereits angerichteten Flurschaden für die Berliner Verwaltung nicht noch zu vergrößern. Immerhin sei Peter Engholm ein enger Mitarbeiter des Innensenators gewesen und er sehe schon die Aufmacher der Boulevardpresse, wenn etwas von der vermuteten Homosexualität des Mordopfers durchsickere...
Becker musste sich bei
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