Todesengel (Gesamtausgabe)
Stellvertreter schließlich vor, „einmal in aller Ruhe über die Fälle unterhalten! Ich meine, nicht hier im Dienst, sondern in privater Atmosphäre. Hast du nicht letztens von diesem Ferienhäuschen auf Rügen geschwärmt, in dem du immer im Urlaub wohnst?“
Becker sah seinen Chef erfreut an und nahm den ihm zugespielten Ball bereitwillig auf: „Das ist eine gute Idee! Sollte mein Feriendomizil zurzeit nicht vermietet sein, könnten wir ruhig einen Abstecher an die Ostsee machen. Das kleine Fischerdorf auf dem Mönchgut ist die fünfstündige Autofahrt allemal wert und wenn wir auch noch unsere Frauen mitnehmen...“
„Bestimmt nicht“, unterbrach ihn Frankenstein, „ich dachte eher an uns und vielleicht noch Scharf und Berndt! Schließlich soll unser Trip keine Vergnügungsreise werden!“
„Du willst wirklich Mirjam mitnehmen?“, fragte Becker erstaunt.
„Warum eigentlich nicht? Du sollst ja nicht ihr Händchen halten!“
„Und was wird Carmen dazu sagen?“
Frankenstein schüttelte ungläubig den Kopf: „Du willst mir doch nicht erzählen, dass deine Frau immer noch eifersüchtig ist! Aber wenn du willst, rede ich mit ihr, mehr als ihr zu versprechen, auf dich aufzupassen, kann ich allerdings auch nicht…“
„Wenn das so ist…“
„Du versuchst also, das Häuschen für einige Tage für uns zu mieten?“
„Das geht in Ordnung!“, entgegnete der Hauptkommissar und kehrte nachdenklich in sein Büro zurück. Er fragte sich, warum er sich eben mit Händen und Füßen dagegen gewährt hatte, mit Mirjam auf Reisen zu gehen. Einen vernünftigen Grund hierfür gab es eigentlich nicht, weil sich sein Verhältnis zu ihr zuletzt halbwegs normalisiert hatte und es sogar wieder in seinem Bauch kribbelte, wenn er in seinem Büro allein mit ihr war. Aber es gab diese Andeutungen, zart und leicht wie Pusteblumen, die ihn irritierten, sibyllinische Anspielungen, die offen ließen, ob sie sich künftig mit voller Hingabe ihren Aufgaben widmen würde. Hör auf zu grübeln, mahnte er sich schließlich und rief als erstes zuhause an, in der Hoffnung, dass seine Frau schon von der Parfümerie zurück war, in der sie Schönheitscremes an aufgetakelte Fregatten verkaufte.
Doch nicht Carmen meldete sich am anderen Ende der Leitung, sondern Annette, seine ältere Tochter. Das kleine Biest fragte ihn, bevor er zum Sprechen kam, mit verführerischer Stimme, ob er der Herr sei, den sie seit einer guten Stunde in ihrem Schlafzimmer erwarte und er fiel vor Schreck fast in Ohnmacht, bis ihm klar wurde, dass die freche Göre auf dem Display des neuen Telefons ablesen konnte, mit wem sie es zu tun hatte.
„Ich warne dich, Mäuschen!“, drohte er und fuhr dann fort: „Ich brauche dringend die Rufnummer unseres Vermieters auf Rügen! Du weißt schon, von diesem Hansen! Ich glaube, wir haben sie im Telefon abgespeichert! Könntest du nachschauen und mir die Nummer durchsagen?“
Annette blieb für einige Augenblicke still und Becker befürchtete schon, dass sie erneut etwas ausheckte, doch dann hörte er wieder ihre Stimme, die der seiner Gattin täuschend ähnelte: „Null acht null drei sieben vier neun zwei vier! Hast du mitgeschrieben, Daddy?“
„Und ob“, antwortete Becker, „ich weiß gar nicht, wie ich dir für deine Güte danken kann…“
„Ich schon“, entgegnete die Gymnasiastin, „leg einfach dreihundert Euro drauf, die mir noch für den Laptop fehlen und ich bin der glücklichste Mensch der Welt!“
„Von wegen!“, protestierte der Vater, doch der Teenager ließ nicht locker:
„Du hältst Computer immer noch für Teufelszeug, dabei kommst du ohne Informationstechnik überhaupt nicht mehr weiter! Nicht mal bei der Kripo, obwohl Ihr die Verbrecher wahrscheinlich immer noch mit der Zwille zur Strecke bringt! Und es gibt es nicht Spannenderes, als im Internet zu surfen, aber wir haben ja nicht mal DSL…“
Becker fühlte sich von der aufgeweckten Tochter in die Enge getrieben, weil er immer noch Schwierigkeiten mit dem PC auf seinem Schreibtisch hatte, während Annette in Informationstechnik ein Ass war und weil er sich vor ihr keine Blöße geben wollte, beendete das Gespräch mit dem vagen Versprechen, über ihren Wunsch nachzudenken und wollte die Rufnummer seines Ferienhausvermieters wählen, als Frankenstein sein Büro betrat.
„Bist du weitergekommen?“, fragte ihn der Chef und Becker antwortete wahrheitsgemäß: „Nicht sehr! Aber immerhin hat mir Annette die Telefonnummer von
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