Todesengel (Gesamtausgabe)
krankhafte Eifersucht der Gattin wenigstens im Nachhinein zu rechtfertigen. Andererseits wartete Carmen, ihrem Verhalten nach zu urteilen, nur darauf, ihn bei einem neuen Seitensprung zu ertappen und deshalb ließ er das Träumen lieber sein und wandte sich seinen beruflichen Erwartungen zu. Er glaubte immer noch an die von ihm entworfene Komplotttheorie, spürte aber, dass er mit ihr im Team trotz der seiner Meinung nach eindeutigen Ergebnisse der Interviews mit den Beschäftigten von Jingle Bells zunehmend allein dastand und sah in dem Brainstorming, auf das er sich mit den Mitreisenden verständigt hatte, die letzte Chance, erfolgreich für seine Sache zu werben. Große Hoffnungen legte er dabei in die ebenso hübsche wie kluge Staatsanwältin, die sich logischen Argumenten sicher nicht verschließen würde und ihm vielleicht half, wieder Oberwasser zu gewinnen.
Mirjam Berndt war in der vergangenen Nacht schon um 3 Uhr erwacht und hatte danach Zeit genug gehabt, über ihre Wünsche und Ziele nachzudenken, ging aber, während sie sich auf dem Beifahrersitz schlafend stellte, noch einmal durch, was sie sich in den frühen Morgenstunden zurechtgelegt hatte. Sie würde sich in den Fallbesprechungen auf die Seite von Frankenstein schlagen, der sich, wie es schien, wieder am Anfang der Ermittlungen wähnte und mit seinen Argumenten eine gewisse Garantie dafür bot, dass die Racheengel, von deren Existenz sie längst überzeugt war, fürs erste vor einem polizeilichen Zugriff geschützt waren. Zugleich würde sie versuchen, Becker wieder für sich einzunehmen, um ihn für den Fall, dass er die anderen doch noch für seine Thesen gewann, in seinem Tatendrang ein wenig bremsen zu können. Sie würde sich aber nicht auf ein neues Abenteuer mit ihm einlassen, dafür war es ihres Erachtens noch zu früh. Wenn überhaupt, kam ein solcher Schritt in Betracht, wenn es nicht nur galt, ihre rachsüchtigen Geschlechtsgenossinnen zu schützen, sondern auch ihre eigenen, noch nicht ausgegorenen Ambitionen zu befördern. Dass sie ihren ehemaligen Liebhaber wie eine Figur auf dem Schachbrett bewegen wollte, verursachte bei ihr immer noch Gewissensbisse und sie hätte viel dafür gegeben, es nicht auf den sich immer deutlicher abzeichnenden Loyalitätskonflikt ankommen lassen zu müssen, doch verboten es die Umstände, sich in Sentimentalitäten zu flüchten, musste sie den Weg gehen, der ihr in der Nacht des Alptraums mit Sauerbrei in der Rolle des Kinderverderbers vorgezeichnet worden war...
Gunda Mohr wusste, was Frankenstein von ihr erwartete und bedauerte es insgeheim, mit Becker und Berndt Versteck spielen zu müssen, doch hatte sie als Tochter eines Brigadegenerals früh gelernt, eigene Befindlichkeiten zurückzustellen und so freute sie sich trotz der von ihrem Gefährten verordneten Zurückhaltung auf die gemeinsamen Tage mit ihm und auch auf den angekündigten kriminalistischen Diskurs, der ihrem grundsätzlichen Interesse an polizeilicher Ermittlungsarbeit entgegenkam.
Der Einzige, der an die Tage auf Rügen keine Erwartungen knüpfte, war Frankenstein als Initiator des im dienstlichen Interesse liegenden Betriebsausfluges. Dafür kreisten seine Gedanken immer wieder um die Zeit danach und dabei wurde ihm angst und bange. Er war gewiss kein Feigling, dazu hatte er zu viel hinter sich, doch hatte ihn die vom Neurologen gestellte und dann vom Professor in der Universitätsklinik bestätigte Diagnose ins Mark getroffen. Der Chefarzt der neurochirurgischen Abteilung war im letzten Gespräch mit ihm zwar guter Dinge gewesen, hatte die Heilungsaussichten als relativ gut eingeschätzt, aber das hatte nicht viel zu bedeuten, zeichneten sich Mediziner gegenüber ihren Patienten doch selten durch übermäßigen Pessimismus aus. Was ihn in seiner verzweifelten Situation noch mehr umtrieb als die Angst um sein Leben, war die Sorge um die Beziehung zur neuen Gefährtin, die vor einigen Wochen wie ein Sendbote des Himmels in sein einsam gewordenes Dasein getreten war und sich jetzt darauf gefasst machen musste, einen kranken alten Mann zu Tode zu pflegen. Noch wusste sie nur von einem routinemäßigen Eingriff und nahm das Ganze sehr gelassen, aber wie würde sie reagieren, wenn sie die volle Wahrheit erfuhr? Würde sie sich dann wirklich für ihn aufopfern, wie sie es einmal sehr theoretisch, ohne Bezug zur Realität, beteuert hatte? Oder würde sie ihn von einem zum anderen Tag verlassen, sodass er sich darauf einrichten musste, den
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