Todesengel (Gesamtausgabe)
Kopf ging: „Ich möchte jetzt auf den Beitrag von Oberkommissarin Berndt zurückkommen! Einige Zwischentöne in ihrer Rede haben mich ein wenig geärgert, aber letztlich hat sie in der Sache Recht! Wir haben es bei den Mördern von Berger, Engholm, von Hoff, Stockmann und Kohn offenbar mit hochintelligenten Verbrechern zu tun, die nichts dem Zufall überlassen und uns wahrscheinlich noch lange zum Narren halten werden! Diese Erkenntnis hat weniger mit Resignation als mit der Einsicht zu tun, dass mit Gewalt kein Ochse zu melken ist und wir die Geduld aufbringen müssen, auf den ersten Fehler der Täter zu warten! Ich will damit sagen, dass wir in den nächsten Tagen einen vorläufigen Schlussbericht über unsere Ermittlungen verfassen, den maßgeblichen Stellen in Berlin und Brandenburg vorlegen und darum bitten sollten, die Sonderkommission Schorfheide aufzulösen. Natürlich würden wir in Verbindung bleiben und die Zusammenarbeit beim Vorliegen neuer Erkenntnisse wieder aufleben lassen, doch sollten wir fürs erste an unsere Schreibtische zurückkehren und all die anderen Gangster fangen, die frei herumlaufen!”
Die Sitzungsteilnehmer starrten Becker eine Weile ungläubig an, doch dann begriffen sie, dass er nur ausgesprochen hatte, was sie alle dachten und applaudierten ihm ausnahmslos für seinen Vorschlag.
38.
Acht Tage nach der Entscheidung, die Sonderkommission aufzulösen, saß Becker abends in seinem Garten und ließ sich von der kühlen Brise verwöhnen, die der sonnenverbrannten Haut schmeichelte. Er hatte nach der Rückkehr ins Landeskriminalamt sofort um eine Woche Urlaub gebeten, ihn zu seinem Erstaunen auch problemlos erhalten und weil er Carmen in langen Telefonaten hatte überreden können, sich für eine Art Heimaturlaub von der Mutter loszueisen, verlebte er jetzt schon den dritten Tag mit ihr und den Kindern, auch wenn die Töchter wegen des Endes der Sommerferien wieder zur Schule gingen und sich so das Gemeinschaftsgefühl, das er an den Urlauben auf Rügen so schätzte, nur bedingt einstellte.
Dafür hatte er gestern endlich Zeit gefunden, sich mit Frankenstein in dessen Kreuzberger Wohnung zu treffen und war im nach hinein froh, sich dazu aufgerafft zu haben, weil er sonst ewig mit einem schlechten Gewissen herumgelaufen wäre. Das änderte nichts daran, dass ihn der Krankenbesuch immer noch erheblich belastete. Gunda Mohr hatte ihn an der Wohnungstür empfangen und, so gut es ging, auf das, was er zu sehen bekommen würde, vorbereitet, doch zeigte sich bald, dass keine noch so blühende Fantasie sich ausmalen kann, wie schwere Leiden Menschen verändern. Dass Frankensteins Schädel infolge der Chemotherapie völlig kahl sein würde, hatte er sich noch denken können, aber dass sich eine hässliche Narbe quer über seinen Kopf zog und er ohne Gehhilfen nicht mehr voran kam, hatte ihm fast den Boden unter den Füßen weggerissen und er fragte sich, ob er die Kraft aufbringen würde, den Freund und Kollegen ein zweites Mal aufzusuchen. Wenigstens, ging es Becker durch den Kopf, stand die fesche Staatsanwältin fest zu ihrem Partner und opferte jede freie Minute seiner Pflege.
Seit gestern beschäftigte ihn aber noch etwas anderes. In den langen Jahren der Zusammenarbeit war es für ihn zur Routine geworden, die Urlaubsvertretung für Frankenstein zu übernehmen und er hatte das Pensum des Chefs auch in den letzten Monaten neben dem eigenen Job erledigt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie es weitergehen würde, wenn der Vorgesetzte nicht mehr in den Dienst zurückkehrte. Aber jetzt stand Frankensteins Versetzung in den Ruhestand, wenn er ihn richtig verstanden hatte, unmittelbar bevor und er musste sich zwangsläufig mit den sich aus der neuen Situation ergebenden Konsequenzen befassen. Eigentlich war er mit seiner beruflichen Funktion restlos zufrieden, weil seine Stärken im operativen Geschäft lagen und ihm die Schreibtischarbeit noch nie sonderlich Spaß gemacht hatte, aber er war jetzt Mitte vierzig und viele Chancen, in den höheren Kriminaldienst aufzusteigen, würde er nicht bekommen. Ganz abgesehen davon, dass es ihn maßlos ärgern würde, wenn er sich nicht bewarb und einen Typ wie Sauerbrei oder gar einen jener Streber mit Hochschulabschluss vor die Nase gesetzt bekam, deren Köpfe vor Theorie überquollen. Jedenfalls nahte der Zeitpunkt, an dem er sich entscheiden musste, unerbittlich und er musste bald so oder so Flagge zeigen...
Mit der Frage: „Willst du
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