Todesengel (Gesamtausgabe)
hier?“, wollte Hannelore von ihr wissen, während sie den Ersatzkaffee zubereitete und Mirjam beschloss, ihr reinen Wein einzuschenken, soweit sie sich damit für den Fall, dass sie mit ihrer Annahme danebenlag, nicht selbst gefährdete.
„Ich will ganz offen sein! Ich ermittle im Mordfall Stockmann und Kohn und soll Sie als Zeugin befragen! Ich könnte auch sagen, als Verdächtige, aber das wissen Sie besser als ich! Am liebsten würden Sie mich jetzt wutentbrannt vor die Tür setzen, aber das geht nicht, solange Sie nicht wissen, welche Erkenntnisse ich schon habe. Also hören Sie mir gut zu und unterbrechen mich nicht! Sie sind, darauf deutet vieles hin, irgendwann von den getöteten Männern vergewaltigt worden und wie es der Zufall will, liegen die Kerle jetzt tot in einem Kühlfach der Rechtsmedizin und auf dem Allerwertesten einer Leiche sind die Worte Rache für Hannelore zu sehen!
Wenn ich in diesem Zusammenhang an gewisse Morde in Berlin und Hamburg denke, bei denen die Opfer, wie Stockmann und Kohn, ihr eigenes Glied im Mund und ein zur sofortigen Lähmung führendes Gift im Blut hatten, ganz zu schweigen von den hinterlassenen Bekennerschreiben, können Sie sich bestimmt vorstellen, dass die Polizei Ihren Skalp haben will!“
Mirjam hatte Hannelore die ganze Zeit beobachtet und äußerlich kaum eine Regung an ihr bemerkt, doch sagte ihr das Glimmen in den Augen der Verdächtigen, das sie bald zusammenbrechen würde.
„Nun heul schon los!“, meinte sie aufmunternd, erhob sich vom Stuhl und ging auf die leidgeprüfte Geschlechtsgenossin zu, nahm sie in die Arme und augenblicklich bekam Jakob einen Weinkrampf, zeigte so viele Emotionen wie noch nie in ihrem Leben und bot ein Bild des Jammers, das Mirjam in ihrer Überzeugung bestärkte: Die missbrauchten Frauen, die irgendwie schuldhaft in die Racheakte verstrickt waren, gehörten nicht hinter Gittern, sondern in die Hände von Therapeuten, die sich ihres Schmerzes annahmen!
Nach einer Viertelstunde war das Schlimmste endlich überstanden und Mirjam tupfte der gebrochenen Frau das Gesicht trocken, führte sie wie eine Schwerkranke in den Raum, der gleichermaßen als Wohn- und Schlafzimmer diente. Forderte Hannelore auf, sich für einige Minuten hinzulegen und kehrte in die Küche zurück, um den Muckefuck zu holen.
„Nun, wie hat das Zeugs geschmeckt?“, wollte die wieder halbwegs gefasste Hausherrin wissen, als Mirjam ihre Tasse geleert hatte und die Oberkommissarin meinte: „Gar nicht so übel!“, bevor sie die Gastgeberin auf die Zeugenbefragung vorzubereiten begann:
„Ich muss irgendwann das Aufnahmegerät einschalten und dann darfst du dir keine Blöße mehr geben! Sei so ruhig wie möglich und antworte auf meine Fragen so, als seiest du völlig unschuldig und wüsstest gar nicht, was ich von dir will!
Gib zu Protokoll, dass du, wie die anderen Einwohner von Neuwiese auch, den Bürgermeister und seinen Freund gekannt, gelegentlich auch Handlangerdienste für sie verrichtet hast, um etwas zur Sozialhilfe hinzuzuverdienen, ihnen aber nie zu nahe gekommen bist. Und dann beteuere, dass du dich bestimmt gewehrt und den Herren das Gesicht zerkratzt hättest, wenn sie zudringlich geworden wären! Mehr solltest du nicht sagen und jetzt bringen wir es, wenn du einverstanden bist, hinter uns!“
Die Hausherrin nickte und Mirjam sah der 30-Jährigen an, wie erleichtert sie war, fühlte sich wie Franz von Assisi und Mutter Teresa zugleich und dankte Gott im Himmel dafür, dass sie zur rechten Zeit die Fronten gewechselt hatte…
37.
Wochen später waren die Ermittler keinen Schritt weiter als unmittelbar nach dem Leichenfund in der Schorfheide und die Stimmung im Team verschlechterte sich immer mehr. Berliner und Brandenburger Polizisten warfen sich gegenseitig vor, Informationen zurückzuhalten, schlampig zu arbeiten und jeden Respekt voreinander vermissen zu lassen, die Zeitungen begannen sich auf die Beamten einzuschließen, nachdem Details des Doppelmordes, die auf Verbindungen zu den Bluttaten in Hamburg und Berlin hinwiesen, mit einiger Verspätung zu den Medien gelangt waren und das Betriebsklima in Eberswalde hätte nicht schlechter sein können, als Becker die dreißigste Lagebesprechung der gemeinsamen Mordkommission eröffnete und Hauptmann bat, ausnahmsweise die Sitzungsleitung zu übernehmen.
Es dauerte nicht lange, bis sich die Ermittler wieder in die Haare kriegten und der Lärmpegel im großen Saal erreichte bereits ein
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