Todesengel: Roman (German Edition)
»Kriminalhauptkommissar Justus Ambick. Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.«
»Ach Gott«, seufzte der Mann, nahm die Brille ab und massierte seine Nasenwurzel. »Geht es um die Sache von damals?«
»In gewisser Weise.«
Rehmers beugte sich vor, spähte zu dem Mädchen hinunter, das nach wie vor selbstvergessen spielte. »Hören Sie«, bat er halblaut, »können wir das unauffällig handhaben? Ich will nicht, dass sie mehr mitkriegt als nötig.«
»Ich hab nur ein paar Fragen.«
»So fängt es immer an.« Er musste Anfang dreißig sein, wirkte aber älter. »Sophie, Schatz?«, rief er in die Werkstatt hinab. »Ich geh mal eben raus, eine Zigarette rauchen. Dauert nicht lange, okay?«
»Okay«, krähte das Mädchen zurück, ohne aufzusehen.
»Kommen Sie«, sagte Rehmers, schnappte seinen Tabak und sein Handy und kam hinter der Theke vor. Die Papiere, über denen er gesessen hatte, waren Formulare des Sozialamts, sah Ambick. Sonderlich gut schien der Laden nicht zu laufen.
Nun, wer ließ auch heutzutage noch etwas reparieren? Geräte wurden ja schon so gebaut, dass sie möglichst nach Ablauf der Garantie kaputtgingen und Reparaturen so teuer waren, dass sie sich nicht lohnten.
»Stimmt«, gab Rehmers unumwunden zu, als Ambick ihn darauf ansprach. »Waschmaschinen, da ist was dran verdient. Da kann man mit Reparaturen echt was sparen. Ansonsten heißt es, ex und hopp, wenn was kaputt ist. Wegwerfgesellschaft eben.« Er hatte seine Zigarette fertig gedreht, steckte sie an, tat den ersten Zug. »Sie sind aber nicht gekommen, um meinen Laden zu kaufen, nehme ich an?«
»Ich mache mir gern ein Bild von den Verhältnissen, in denen jemand lebt«, sagte Ambick.
»Niemand wohnt hier, weil es so eine schöne Gegend ist. Die Mieten sind billig. Bis jetzt jedenfalls. Trotzdem muss ich beantragen, was ich kriegen kann – Wohngeld, Kleiderzuschuss, Zuschuss für den Kindergarten, und so weiter, und so weiter.« Eine große, unheilvoll dunkle Rauchwolke entstieg seinem Mund. »Reicht das für einen ersten Eindruck?«
Ambick nickte. »Was ist mit den anderen? Von damals. Stehen Sie mit denen noch in Kontakt?«
Rehmers schüttelte sich. »Um Gottes willen. Werd froh sein, wenn ich die nie wieder sehe.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
Der hagere Mann kratzte sich am Kopf. »Tja, wann war das … Der Pochardt ist mir mal über den Weg gelaufen. In der Stadt, irgendwann im Frühjahr. Aber da war der hackedicht, ist bloß rumgetorkelt. Ich glaub nicht, dass der mich bemerkt hat. Den Hans Brodowski hab ich zuletzt vor vier Jahren getroffen. Das war kurz vor einem EM-Spiel, deswegen weiß ich das so genau. Der war immer noch drauf …« Rehmers hob die Schultern.
»Was heißt das, er war immer noch drauf?«
»Na ja. Hat mit Geld um sich geworfen. Wollte, dass ich bei irgendwas mitmache, hat ohne Ende davon gefaselt, er bräuchte einen Techniker und es sei jede Menge Kohle drin.«
»Und was haben Sie gesagt?«
»Ich hab sofort abgeblockt. Ich mach so Zeug nicht mehr.« Er wurde richtig heftig, gestikulierte mit der Zigarette. »Schauen Sie, ich hab meine Strafe gekriegt, für damals. Hab sie abgesessen. Und mich hinterher echt bemüht, die Kurve zu kriegen. Aber, hey – wer stellt schon einen Knacki ein? Niemand, es sei denn, ein Ausbeuter, der Schlimmeres mit dir vorhat als Papa Staat. Also hab ich das hier aufgemacht. Und jemanden gefunden …«
Er hielt inne, rieb sich die Brust. »Das da drin ist meine Kleine. Fünf ist sie vorige Woche geworden. Fünf. Hat mich mehr verändert als all die Psychotherapeuten, die sich an mir abgerackert haben. Für das Kind will ich ein guter Mensch sein, verstehen Sie? Für sie.«
Ambick nickte. »Und Ihre Frau?«
Rehmers hob die Schultern. »Die kennt mich. Hält es trotzdem mit mir aus. Ich schätze, was Besseres wird mir nicht mehr passieren in meinem Leben.«
»Sind Sie«, fragte Ambick mit Bedacht und leisem Neid, »in letzter Zeit angegriffen worden? Bedroht?«
»Was?« Die Verblüffung Rehmers’ wirkte echt. »Wieso? Entschuldigen Sie – Sie werden Ihre Gründe haben, das zu fragen, aber … Nein.«
Ambick sagte nichts, wartete.
»Nein«, wiederholte der Mann nach weiterem Nachdenken. »Es sei denn, Sie zählen diesen Zeitungsartikel mit, der uns als menschlichen Abschaum beschimpft hat. Aber das war damals. Fünfzehn Jahre her. Dürfte inzwischen verjährt sein, schätze ich.«
»Mir ging’s um die letzten zwei Wochen«, sagte Ambick.
Weitere Kostenlose Bücher