Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesengel: Roman (German Edition)

Todesengel: Roman (German Edition)

Titel: Todesengel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
angesprochen?«, versuchte es Ambick noch einmal.
    »Nee. Sie halt jetzt.«
    »Sonst niemand?«
    »Kann sein, dass Ihr Kollege was in der Richtung erwähnt hat. Weiß ich nicht mehr genau. Ich war an dem Tag … indisponiert.«
    »Was ist mit den Schlägereien, die zurzeit passieren? Haben Sie damit was zu tun?«
    »Ich?« Der Mann bot ein Bild gerechter Entrüstung. »Im Leben nicht, Herr Kommissar.«
    Ambick glaubte ihm. In seinem Zustand hätte er in jeder körperlichen Auseinandersetzung den Kürzeren gezogen. »Irgendeine Idee, was da läuft? Ein Bandenkrieg oder so etwas?«
    »Keine Ahnung. Echt nicht.«
    Ambick zog das Blatt heraus, auf dem Enno die persönlichen Daten der drei Täter zusammengestellt hatte, und stutzte, als sein Blick auf das Geburtsdatum fiel. Ach ja, richtig – Pochardt war erst vierunddreißig, zwei Jahre jünger als er selber! Ihn schauderte. Der Mann sah aus wie fünfzig.
    Er musste an seine eigene Jugend denken. Er hatte eine Zeit lang auch ganz gut ausgeteilt, die Fäuste sprechen lassen, wenn Worte nicht genügten. Nur war er irgendwann zur Vernunft gekommen. Hatte die Wut ins Boxen gesteckt, entschlossen, etwas aus seinem Leben zu machen, und die Kurve gekriegt.
    Was war der Anlass dazu gewesen? Er wusste es nicht mehr. Und konnte ein Anlass wirklich so entscheidend sein? War ein Anlass nicht nur so etwas wie ein Samenkorn, das auf fruchtbaren Boden fallen muss, um gedeihen zu können?
    Zu spät am Abend für derart philosophische Fragen, beschloss Ambick. Er überflog seine Fragenliste, fand nichts mehr, was er seinem Besucher noch zumuten wollte, und sagte: »Okay, danke. Das war’s. Sie können gehen.«
    Pochardt gab ein Schnauben von sich. »Das war schon alles? Dafür hab ich mich durch die halbe Stadt hergequält?«
    »Wir waren bei Ihnen«, sagte Ambick leidenschaftslos und klappte den Notizblock wieder zu. »Das ist unser normaler Service. Sie waren bloß voll wie eine Strandhaubitze.«
    »Anders ist diese Gesellschaft ja auch nicht zu ertragen.« Er stand auf, mit mehr Mühe, als das Aufstehen jemandem machen sollte, der erst vierunddreißig war. »Drauf geschissen.«
    Ambick sagte nichts, wartete nur, bis der Mann abgezogen war. Dann schaltete er seinen Computer ab, ging auf die Toilette. Die lag am Ende des Flurs; durch das Fenster am Gangende sah er Pochardt noch einmal, wie er unsicheren Schrittes die Straße vor dem Kommissariat überquerte und auf die Spelunke gegenüber zuhielt. Die hieß »Einsatz«, ein Name, der zweifellos auf Polizisten als Kundschaft zielte (»Wo warst du so lange?« »Entschuldige, Liebling, aber ich war im Einsatz. Ehrlich.«) . Wobei der Trick nach allem, was Ambick gehört hatte, nicht funktionierte, weil die Kneipe einfach zu schmuddelig war.
    »Er hat mich an Händen und Füßen gefesselt, mir den Mund zugeklebt, mich zum Heizkörper gezerrt und dort festgebunden, mit einer Schlinge um den Hals. Ich musste den Kopf oben halten, damit es mich nicht würgt. So hab ich dann gelegen und gehört, wie der Kerl in meinem Büro nach dem Tresorschlüssel sucht«, erzählte der Geschäftsführer. »Als er das Geld aus dem Safe geholt hatte – fünfzehntausend Euro, das Weihnachtsgeld für die Mitarbeiter –, ist er abgehauen. Mich hat er einfach liegen lassen.«
    »Wie spät war es da?«
    »Halb zehn Uhr abends. Gefunden hat mich unsere Putzfrau am nächsten Morgen um sechs.«
    »Achteinhalb Stunden der Qual«, sagte Ingo.
    »Ja.« Der Mann, eine massige, quadratschädelige Erscheinung, rieb sich unwillkürlich den Hals. »Später hab ich erfahren, dass die Polizei dem Kerl auf der Spur war. Sie haben ihm aufgelauert, haben ihn überwältigt, als er aus dem Haus gekommen ist, haben die Beute sichergestellt und ihn verhaftet. Bloß auf den Gedanken, sich den Tatort anzuschauen, sind sie nicht gekommen. Sie sind einfach davongefahren, haben den Mann in eine Zelle gesteckt und Feierabend gemacht.«

28
Ich gehe durch die Nacht, die Nacht voller Lichter, voller Schatten, voller Schmerz und voller Sehnsucht. Ich gehe und gehe, meine Schritte sind leicht und federnd, schnell und unhörbar. Ich verschmelze mit dem Dunkel, verschwinde hinter den Passanten, im Strom des Verkehrs, unter den Leuchtreklamen. Niemand, der mir begegnet, wird sich an mich erinnern. Ich bin nicht unsichtbar, aber ich könnte es genauso gut sein.
    Ich bin eins mit allem, ein Wächter, dessen Sinne scharf sind und gespannt, der alles wahrnimmt, was geschieht, der alles

Weitere Kostenlose Bücher