Todesengel: Roman (German Edition)
sie sich alle, der Staatsanwalt sprach sie lediglich aus. Sie hatten Enno Kader dazugeholt, der nun an Ambicks Computer saß und es übernahm, durchs Internet zu navigieren. »Deine Farben sind übrigens verschoben«, meinte er und klopfte gegen den Monitor, was natürlich nichts brachte. »Das sollte man mal einstellen.«
»Wenn ich mal keine dringenderen Sorgen habe«, erwiderte Ambick und dachte an die Deckenlampe.
Ortheil stand breitbeinig hinter ihnen, die Arme vor der Brust verschränkt. »Also, mit anderen Worten, der anonyme Hinweis hat uns zu demjenigen geführt, der die Faser erfunden hat, die am Stuttgarter Platz gefunden wurde und deren Funktionsweise Herr Kerner entschlüsselt hat.«
»Richtig«, sagte Enno in einem Ton, als verdankten sie das alles seiner Initiative.
»Damit haben wir die Verbindung, die wir gesucht haben«, resümierte der Staatsanwalt. »Wie geht es weiter? Haben Sie schon überprüft, ob dieser Alexander Wenger in jüngster Zeit nach Deutschland eingereist ist?«
»Das war so ziemlich das Erste, was ich gemacht habe«, erklärte Enno. »Die Antwort war nein, sowohl was Fluggastdaten als auch was Grenzübertritte anbelangt.«
»Aber er könnte jemanden hier mit einer Perücke und einem Mantel aus diesen Fasern ausgestattet haben.« Der Staatsanwalt sah grüblerisch drein. »Oder? Würde eine solche Sendung beim Zoll auffallen?«
»Garantiert nicht«, sagte Kerner, der neben Ambick stand und unangenehm nach Tabak, Leberwurst und Schweiß roch.
»Ganz dumme Frage«, fiel Ambick ein. »Kann man diese Fasern eigentlich irgendwo kaufen? Haben Sie das zufällig nachgeprüft?«
Der dicke Labortechniker schüttelte den Kopf. »Nein. Ich meine, ja, hab ich – das ist immer so das Erste, die Materialanalyse mit den Herkunftsdatenbanken abgleichen –, aber da gab es keine Übereinstimmung.«
Enno deutete auf die Patentschrift auf seinem Schirm. »Ich druck das mal aus«, erklärte er.
Der Drucker schnarrte los, warf Seite um Seite praktisch unlesbares juristisches Englisch aus. Ambick sammelte die Seiten ein, weil er neben dem Gerät stand, betrachtete die ungelenken Zeichnungen langer Molekülketten darauf. »Seine Eltern meinen, er habe eine Firma, die Partybedarf herstellt«, sagte er. »Aber ich frage mich gerade, ob sie sich da nicht irren. Oder einer Tarngeschichte aufgesessen sind. Was, wenn das hier« – er wedelte mit dem Papierstapel – »etwas Militärisches ist?«
»O Gott«, ächzte Ortheil. »Bloß das nicht.«
Ambick legte Enno die Ausdrucke hin und tippte auf die Firmenadresse, die unter der Rubrik Inventors eingetragen war. »Schau doch mal, was du da findest.«
Enno beugte sich darüber. »Wenger-Westham, Inc.«, las er laut und stieß einen leisen Pfiff aus. »Fällt mir jetzt erst auf. Klingt fast wie West Wing , oder? Weißes Haus und so? Spräche für deine Militärthese, Justus.«
Ambick nickte unduldsam. »Ja, ist aber auch vielleicht einfach eine Überinterpretation. Komm, mach.«
Enno ließ die Tastatur klackern. »Da. Es gibt eine Website dazu. Hätte mich auch gewundert, wenn nicht.« Er klickte auf den Link.
Die Internetseite, die daraufhin am Schirm erschien, war geradezu erschütternd nichtssagend. Unter einem ebenso pompösen wie geschmacklos gestalteten Logo stand nur: Chemieprodukte – Import, Export, Beratung. Darunter die Namen der beiden, eine Adresse in Texas, eine Telefonnummer und eine E-Mailadresse. Das war alles.
»Nicht wirklich werbewirksam, wenn ihr mich fragt«, lautete Ennos Kommentar.
»Vielleicht tatsächlich Tarnung«, meinte der Staatsanwalt finster.
Ambick legte die Hand auf den Telefonhörer. »Wie spät ist es in Texas wohl gerade?«
Staatsanwalt Lorenz Ortheil, der Weltbürger, als der er sich verstand, konsultierte seine entsprechend ausgestattete Armbanduhr. »Müsste kurz nach sieben Uhr morgens sein.«
»Da kann man schon mal anrufen, oder?« Ambick wählte die angegebene Nummer und schaltete den Mithörlautsprecher an.
Sie lauschten gebannt. Es dauerte eine Weile, dann erklärte eine automatische Frauenstimme auf Englisch, der Anschluss sei nicht belegt.
»Hmm.« Ambick legte auf. »Sonderlich gut können die Geschäfte nicht laufen.«
Enno kopierte die Adresse mit der Maus, öffnete ein weiteres Browserfenster. »Mal sehen, was Google Streetview findet«, meinte er.
Die Kamerawagen von Google waren, wie sich zeigte, nicht bis zu der angegebenen Adresse vorgedrungen. Die in Blau als verfügbar angezeigte
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