Todesengel: Roman (German Edition)
zurückgegangen. Tötungsdelikte von Jugendlichen sind seit Mitte der 90er Jahre um 39 Prozent rückläufig. Es wird gern gesagt, dass früher, wenn jemand bei einer Prügelei am Boden lag, aufgehört wurde, und heute wird noch mal extra zugetreten. Das ist aber ganz klar nicht der Fall. Die rückläufigen Zahlen der krankenhausreifgeschlagenen Fälle sowie der Tötungsdelikte sprechen dagegen. In Hannover haben wir über sechs Jahre hinweg im Wege einer Aktenanalyse sämtliche Fälle von Jugendgewalt analysiert. Dabei zeigte sich klar, dass solche Fälle, in denen die Opfer im Krankenhaus landeten, deutlich abnahmen. Bei den Schusswaffentötungen haben wir bundesweit seit Mitte der 90er Jahre einen Rückgang von 640 auf 139 Fälle. Auch Sexualmorde gibt es heute viel weniger als früher. Deutlich zugenommen haben allerdings Cybermobbing und Wohnungseinbrüche – doch das hat ganz besondere Gründe.
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Verfolgt man die Medien, hat man oft den Eindruck, dass die Fälle von Gewalt zunehmen. Woran liegt das?
Die Medien haben sich gewandelt. Heute verfolgen sie Fälle von brutalster Gewalt mit größerer Intensität als früher. Die Schnelligkeit des Internets spielt dabei natürlich auch eine große Rolle. Man kommt schneller und unkomplizierter an Bilder heran. Man kann Brutalität ganz anders zeigen als vor 20 Jahren. Damals gab es die Überwachungskameras in den U- und S-Bahn-Stationen noch nicht. Heute sehen wir dann diese Szenen in den Nachrichten. Die Sichtbarkeit von exzessiver Brutalität hat sich deutlich erhöht und damit auch die Berichterstattung darüber. Und das weckt den falschen Eindruck, dass Jugendliche immer brutaler werden. Die Wucht der Bilder erreicht uns emotional ganz anders, hinterlässt tiefe Erinnerungsspuren und prägt unser Fehlurteil, dass alles schlimmer wird. Das ist unvermeidbar mit der Fernsehkultur verbunden und verfremdet das, was wir die gefühlte Kriminalitätstemperatur nennen. Lesen Sie einem Kind das Märchen von Hensel und Gretel vor, kann es gut schlafen. Zeigen Sie allerdings das Märchen mit Bildern wie die Hexe im Ofen schmort, wird es kaum eine ruhige Minute finden. Goethe hat es wie so oft auf den Punkt gebracht:
Dummes Zeug kann man viel reden. Kann es auch schreiben. / Wird weder Leib noch Seele stören.
Es wird alles beim Alten bleiben. / Dummes aber vors Auge gestellt, hat ein magisches Recht. / Weil es die Sinne gefesselt hält, bleibt der Geist ein Knecht.
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