Todesengel
Magen-Darm-Probleme aufgetreten. Die Schwester hatte notiert, daß die Patientin unter Übelkeit, Erbrechen und Durchfall gelitten hatte. David konnte sich diese Symptome nicht erklären, und er hatte keine Ahnung, wie er mit Mary Ann weiter verfahren sollte. Da ihr Stirnhöhlenkatarrh sich offensichtlich etwas gebessert hatte, wollte er die Antibiotika-Behandlung nicht abbrechen, obwohl immerhin die Möglichkeit bestand, daß ihre gastrointestinalen Probleme auf diese Mittel zurückzuführen waren. Für ihre Schläfrigkeit hingegen gab es keine Erklärung. Genau wie er es bei John Tarlow getan hatte, ordnete David an, seiner Patientin auf keinen Fall das Schlafmittel zu verabreichen, das er ihr für den Bedarfsfall aufgeschrieben hatte. Als David das Zimmer von Jonathan Eakins betrat, kehrte seine gute Laune wieder zurück. Jonathan war geradezu in Hochstimmung. Er fühlte sich hervorragend und erzählte David, daß der Herzmonitor an seiner Seite so regelmäßige Geräusche von sich gegeben habe wie ein Taktmesser; nicht ein einziges Mal sei er aus dem Rhythmus geraten.
David hörte Jonathans Brust ab. Er freute sich, daß die Lunge von Jonathan absolut frei war; andererseits überraschte es ihn aber auch nicht übermäßig, daß sich der Zustand seines Patienten so rasch gebessert hatte. Am Nachmittag zuvor hatte er Jonathans Akte mehrere Stunden lang intensiv studiert und den Fall anschließend mit einem Kardiologen durchgesprochen. Der Kardiologe war fest davon überzeugt gewesen, daß Jonathan keine weiteren Probleme mit seinem Herzen bekommen würde.
Den anderen Patienten, die David auf der Krankenstation zu betreuen hatte, ging es genauso gut wie Jonathan. David besuchte sie der Reihe nach und konnte einige sogar entlassen. Als er seine Visite beendet hatte, ging er in seine Praxis hinüber und freute sich, daß er heute pünktlich mit der Sprechstunde beginnen konnte. Nach den Erfahrungen der vergangenen Tage hatte er sich fest vorgenommen, nicht so schnell wieder ins Hintertreffen zu geraten.
Den ganzen Vormittag über achtete David peinlich genau darauf, wie lange er sich um jeden einzelnen Patienten kümmerte. Da er ja nun wußte, daß die Effizienz seiner Arbeit kontrolliert wurde, bemühte er sich, mit jedem einzelnen so wenig Zeit wie möglich zu verbringen. Er fand das zwar nicht gerade gut, aber es blieb ihm keine andere Wahl. Mit seiner Drohung, ihn rauszuwerfen, hatte Kelley ihn ziemlich erschüttert. Der Schuldenberg, den er zusammen mit Angela angehäuft hatte, ließ es einfach nicht zu, daß er seinen Job verlor.
Da er früh mit seiner Sprechstunde begonnen hatte, gab es an diesem Tag keinen Stau im Wartezimmer. Als sich zwei Schwestern von der Krankenstation in der zweiten Etage bei ihm meldeten und kurzfristig um einen Termin baten, war David sogar imstande, sich sofort um die beiden Frauen zu kümmern.
Beide litten unter grippeähnlichen Symptomen - genau wie die beiden Schwestern, die ihn am Tag zuvor aufgesucht hatten. Deshalb behandelte er sie auch nach dem gleichen Muster. Er verordnete ihnen Bettruhe und verschrieb ihnen Medikamente zur Linderung der Magen-Darm-Probleme.
An diesem Tag hatte David endlich einmal Zeit, sich mit all den Dingen zu beschäftigen, die liegengeblieben waren; er schaffte es sogar, kurz in die Praxis von Dr. Pilsner hinüberzulaufen. Er erzählte dem Kinderarzt, daß inzwischen schon einige Patienten mit Grippeerkrankungen zu ihm gekommen seien und fragte, ob es nicht besser wäre, Nikki gegen Grippe zu impfen.
»Ich habe sie bereits geimpft«, erwiderte Dr. Pilsner. »Bisher sind zwar noch keine grippekranken Kinder zu mir gekommen, aber ich warte mit den Impfungen lieber nicht, bis es zu spät ist; vor allem gilt das für meine Mukoviszidose-Patienten.«
David war schon vor zwölf Uhr mit seiner Vormittagssprechstunde fertig und hatte sogar noch Zeit, ein paar Briefe zu diktieren, bevor er sich mit Angela traf. »Das Wetter ist einfach phantastisch«, sagte David. »Was hältst du davon, in die Stadt zu fahren und in dem alten Speisewagen zu essen?« Er hatte das Gefühl, daß die frische Luft ihnen guttun würde.
»Das ist eine gute Idee«, erwiderte Angela. »Aber am liebsten würde ich nur irgendeine Kleinigkeit zum Mitnehmen essen und anschließend bei der Polizei vorbeigehen und mal nachhorchen, wie man dort mit den Ermittlungen im Fall Hodges vorankommt.«
»Das halte ich für keine besonders gute Idee«, bemerkte David.
»Und warum nicht?«
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