Todesengel
Maurice.
»Ich dachte, du seiest nur an der Vergangenheit von zwei Leuten interessiert«, bemerkte Nicole. »Wir wissen, daß diese fünf Personen in der Armee gedient haben«, klärte David sie auf. »Außerdem sind sie alle tätowiert. Und wenn wir sowieso schon in den Daten herumschnüffeln, können wir auch gleich gründlich vorgehen.«
Mit Hilfe der Sozialversicherungsnummern und der Geburtsdaten ermittelte Nicole die einzelnen Personaldossiers. Dabei stieß sie sofort auf eine Überraschung: Forbs und Ullhof waren ebenfalls aus medizinischen Gründen entlassen worden. Von den fünf Hauptverdächtigen hatte also nur Maurice ihre Dienstzeit normal beendet. Die Entlassungsdiagnosen von Forbs und Ullhof waren nicht besonders gravierend: Forbs hatte man wegen chronischer Rückenbeschwerden vorzeitig nach Hause geschickt, und Ullhof war wegen einer unspezifischen, chronischen Prostatitis für untauglich befunden worden.
Bei van Slyke und Devonshire lag die Sache allerdings anders; ihre Entlassungsgründe waren nicht so harmlos. Die komplizierteste Diagnose lag wohl bei van Slyke vor. Nicole mußte etliche Seiten überfliegen, bevor sie schließlich herausfand, daß van Slyke aufgrund einer psychischen Störung entlassen worden war. Laut Diagnose hatte er damals an einer »schizoid-affektiven Funktionsstörung sowie unter Manie und schwer paranoiden Verhaltensstörungen unter Streß« gelitten. »Um Himmels willen«, stöhnte David. »Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich diese Diagnose richtig verstehe. Kapierst du, worunter er genau gelitten hat?«
»Ich bin zwar Augenärztin«, erwiderte Nicole, »aber, soweit ich das verstehe, steht hier, daß dieser van Slyke schizophren ist und einen starken Hang zur Manie hat.« David zog dabei überrascht die Augenbrauen hoch. »Du scheinst über diese Dinge wesentlich besser Bescheid zu wissen als ich«, sagte er. »Ich bin beeindruckt.«
»Ich habe mich vor ein paar Jahren mal ein bißchen für Psychiatrie interessiert«, erklärte Nicole. »Was hier über van Slyke steht, klingt ganz so, als würde ich diesem Typen lieber nicht begegnen. Aber jetzt sieh dir mal an, an wie vielen Fortbildungen er teilgenommen hat. Er hat sogar die Militärschule für atomare Technik besucht, und die ist dafür bekannt, daß es dort ziemlich streng zugeht. Wenn man bedenkt, daß er all diese psychischen Störungen gehabt hat, ist das doch erstaunlich.« Nicole blätterte weiter in van Slykes Akte. »Warte mal«, sagte David. Er hatte Nicole die ganze Zeit über die Schulter geschaut und zeigte jetzt auf eine Passage, in der ein Nervenzusammenbruch van Slykes beschrieben wurde. Als Spezialist für atomare Technik arbeitete er zu jenem Zeitpunkt im Maschinenraum eines Raketen-U-Bootes; er war der Maat des Maschinisten. David las die Stelle laut vor: »Die Manie des Patienten trat schon während der ersten Hälfte seines Einsatzes deutlich zutage und schritt dann schnell voran. Durch seine zunächst euphorische Stimmung verlor er zusehends sein Urteilsvermögen und steigerte sich allmählich in die paranoide Vorstellung hinein, daß ihm alle Welt feindlich gesonnen sei. Schließlich litt er sogar unter der Wahnvorstellung, er werde mit Hilfe von Computern und Strahlen manipuliert. Außerdem bildete er sich ein, die ganze Besatzung mache sich über ihn lustig. Seine Paranoia gipfelte schließlich darin, daß er den Kapitän angriff und nur mit Gewalt gebändigt werden konnte.«
»Das klingt ja furchtbar«, bemerkte Nicole. »Hoffentlich begegne ich ihm nicht irgendwann einmal hier in der Klinik.«
»So verrückt, wie es hier dargestellt wird, wirkt er gar nicht«, sagte David. »Ich habe mich schon ein paarmal mit ihm unterhalten. Er ist nicht gerade kontaktfreudig, und freundlich ist er schon gar nicht, aber immerhin erledigt er seinen Job.«
»Ich würde sagen, daß er beim Militär auf jeden Fall eine tickende Zeitbombe gewesen sein muß«, entgegnete Nicole.
»Daß er unter der paranoiden Vorstellung litt, er werde von Strahlen manipuliert, ist doch gar nicht so abwegig, wenn man bedenkt, daß er auf einem Raketen-U-Boot stationiert war«, fuhr David fort. »Wenn ich jemals ein nuklear getriebenes U-Boot betreten müßte, würde mich allein der Gedanke verrückt machen, daß in meiner unmittelbaren Nähe ein Atomreaktor stünde.«
»Hier steht noch mehr über seine Vergangenheit«, sagte Nicole und las die Textstelle laut vor: »Van Slyke war schon immer ein Einzelgänger. Er hatte
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