Todesengel
schrecklich, nach Hause zu kommen und eine verwüstete Wohnung vorzufinden. Ich hab’ immer größere Lust, sofort nach Bartlet zu ziehen«, sagte sie. »Nichts würde ich jetzt lieber tun, als dieser gräßlichen Stadt den Rücken zu kehren, um von den krankhaften Auswüchsen dieses Molochs nichts mehr mitzubekommen.«
»Gegen ihn persönlich hab’ ich gar nichts einzuwenden«, sagte Dr. Randall Portland zu Arlene, seiner Frau, als sie sich gemeinsam vom Eßtisch erhoben. Arlene gab ihren beiden Söhnen Mark und Allen zu verstehen, daß sie beim Abräumen helfen sollten. »Aber ich hab’ absolut keine Lust darauf, meine Praxisräume mit einem Internisten zu teilen.«
»Warum denn nicht?« fragte Arlene, während sie den beiden Jungen die Teller abnahm und die Essensreste in den Mülleimer warf.
»Weil ich nicht will, daß sich meine Patienten, die zu einer Operationsnachbehandlung zu mir kommen, das Wartezimmer mit einem Haufen wirklich Kranker teilen müssen«, sagte Randy wütend. Er drückte den Korken in die halbvolle Weißwein-Flasche und stellte sie zurück in den Kühlschrank.
»Okay, das ist verständlich«, erwiderte Arlene. »Ich hatte schon befürchtet, daß da irgendeine tiefsitzende Feindschaft zwischen Chirurgen und Internisten dahintersteckt.«
»Ach was, das wäre doch albern«, sagte Randy. »Aber du kannst dich ja wohl noch an die Witze erinnern, die du während deiner Ausbildung immer über die Internisten gerissen hast, oder?« warf Arlene ein. »Wir haben manchmal ein paar deftige Sprüche losgelassen, aber die waren doch nie richtig böse gemeint«, sagte Randy. »Jetzt geht es um etwas ganz anderes. Ich will auf keinen Fall, daß Leute mit ansteckenden Krankheiten neben meinen Patienten sitzen. Vielleicht denkst du, daß ich abergläubisch bin, aber das ist mir egal. Bei meinen Patienten hat es inzwischen genug Komplikationen gegeben. Ich bin langsam total deprimiert.«
»Dürfen wir fernsehen?« fragte Mark. Allen stand hinter seinem Bruder und sah seine Eltern mit großen Engelsaugen an. Mark war sieben und Allen sechs Jahre alt. »Wir hatten doch vereinbart, daß…« Arlene hörte mitten im Satz auf weiterzusprechen. Den flehenden Blicken ihrer Kinder konnte sie einfach nicht widerstehen. Außerdem wollte sie gerne mal einen Augenblick mit Randy allein sein. »Gut, ihr dürft. Aber nur eine halbe Stunde.«
»Yippie!« johlte Mark. Und Allen fiel sofort in das freudige Geheul mit ein. Die beiden rasten ins Fernsehzimmer.
Als die Kinder draußen waren, nahm Arlene ihren Mann in den Arm und führte ihn ins Wohnzimmer, wo er sich auf dem Sofa niederließ. Sie selbst setzte sich in einen Sessel gegenüber. »Irgend etwas stimmt doch nicht mit dir«, sagte sie. »Was bedrückt dich so? Ist es immer noch der Tod von Sam Flemming?«
»Natürlich geht mir Sam Flemming nicht aus dem Kopf«, antwortete Randy gereizt. »Während meiner ganzen Zeit als Assistenzarzt ist nicht ein einziger von meinen Patienten gestorben. Und jetzt habe ich in kürzester Zeit drei hintereinander verloren.«
»Es gibt eben Situationen, in denen auch du nicht mehr helfen kannst«, versuchte Arlene ihn zu trösten. »Von diesen drei Patienten hätte keiner sterben dürfen«, erklärte Randy seiner Frau. »Und schon gar nicht unter meiner Obhut. Schließlich bin ich ein Knochenklempner und schraube nur an den Gliedmaßen meiner Patienten herum!«
»Und ich hatte schon gehofft, deine depressive Phase sei endlich überstanden«, sagte Arlene. »Ich kann einfach nicht mehr richtig schlafen.«
»Sprich doch mal mit Dr. Fletcher darüber«, schlug Arlene vor.
Bevor Randy antworten konnte, klingelte das Telefon. Arlene sprang auf. Wenn Patienten ihres Mannes zur Operationsnachsorge im Krankenhaus lagen, verfluchte Arlene das Telefon. Beim zweiten Klingeln hatte sie den Hörer abgenommen und hoffte, daß es ein privater Anrufer war. Doch leider war es mal wieder das Städtische Krankenhaus von Bartlet. Eine Krankenschwester wollte dringend mit Dr. Portland sprechen.
Arlene gab ihrem Mann den Hörer. Er nahm ihn zögernd in die Hand und legte ihn ans Ohr. Nachdem er einen Moment zugehört hatte, wurde er bleich. Ganz langsam legte er auf und schaute Arlene an.
»Der Patient, den ich heute morgen am Knie operiert habe«, sagte Randy. »William Shapiro. Es geht ihm schlecht. Ich kann es einfach nicht glauben. Die Symptome sind immer die gleichen: Er hat Fieber bekommen und ist verwirrt. Wahrscheinlich hat er
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