Todesengel
Lungenentzündung.« Arlene legte die Arme um ihren Mann und drückte ihn fest an sich. »Es tut mir so leid«, sagte sie. Etwas Besseres fiel ihr in diesem Moment nicht ein. Randy gab keine Antwort. Ein paar Minuten lang verharrte er still in Arlenes Armen. Dann befreite er sich schweigend aus der Umarmung seiner Frau und verließ das Haus durch die Hintertür, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Vom Küchenfenster aus beobachtete Arlene, wie Randy aus dem Hof hinausfuhr und in die Straße einbog. Dann richtete sie sich auf und schüttelte gedankenverloren ihren Kopf. Sie machte sich große Sorgen um ihren Mann und hatte keine Ahnung, wie sie ihm helfen sollte.
Kapitel 2
Montag, 3. Mai
Harold Traynor fingerte an seinem kleinen Tischhammer herum. Dieses Schmuckstück aus Mahagoni, das mit einem Goldinlay verziert war, hatte er sich erst vor kurzem bei Shreve Crump & Low in Boston gekauft. Traynor stand in der Bibliothek des Städtischen Krankenhauses von Bartlet am Kopfende eines langen Tisches. Vor sich hatte er das Rednerpult aufgebaut, das eigentlich in den Konferenzsaal gehörte. Über das ganze Pult verteilt lagen seine ausführlichen Aufzeichnungen, die er am Vormittag von seiner Sekretärin hatte abtippen lassen. Gleich hinter dem Podest stand der Tisch, auf dem sich wie immer eine Sammlung von medizinischen Instrumenten befand, welche der Krankenhausvorstand noch begutachten mußte. Aus all dem Durcheinander stach das Modell des geplanten Parkhauses hervor.
Traynor schaute auf seine Uhr. Um Punkt achtzehn Uhr nahm er seinen Hammer und schlug damit kräftig auf das Pult. Genauigkeit und Pünktlichkeit waren zwei Eigenschaften, auf die er großen Wert legte. »Ich möchte den Vorstand des Städtischen Krankenhauses von Bartlet jetzt um seine Aufmerksamkeit bitten«, rief Traynor in den Saal und bemühte sich, möglichst geschwollen zu reden. Er trug seinen besten Nadelstreifenanzug und frisch polierte Schuhe. Nur mit seiner Körpergröße war Traynor nicht zufrieden: Er maß knappe einssiebzig. Sein dunkles Haar wuchs eher spärlich, doch er hatte es so geschickt gekämmt und zurechtgelegt, daß die kahle Stelle, die sich mitten auf seinem Kopf befand, verdeckt wurde.
Traynor scheute weder Zeit noch Mühe, um die Sitzungen des Krankenhausvorstands genauestens zu planen, und dabei legte er auf seine inhaltliche Vorbereitung ebensoviel Wert wie auf sein äußeres Erscheinungsbild. An diesem Tag hatte er dienstlich nach Montpellier fahren müssen, und er hatte sich danach zu Hause nur kurz duschen und umziehen können.
Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, noch in seinem Büro vorbeizuschauen. Neben seinem Posten als Vorsitzender des Krankenhausvorstands arbeitete Harold Traynor in Bartlet eigentlich als Rechtsanwalt. Er hatte sich auf Nachlaßangelegenheiten und Steuerfragen spezialisiert und war zudem ein sehr aktiver Geschäftsmann mit Beteiligungen an einer ganzen Reihe von ortsansässigen Unternehmen.
Direkt vor Traynor saßen Barton Sherwood, sein Stellvertreter im Krankenhausvorstand, Helen Beaton, die Leiterin des Krankenhauses, Michael Caldwell, der stellvertretende Leiter und Chef der Verwaltung, Richard Arnsworth, der Leiter der Finanzabteilung, Clyde Robertson, ein Sekretär, sowie Dr. Delbert Cantor, der derzeitige Chef der medizinischen Abteilung.
Nachdem Traynor zum Vorsitzenden gewählt worden war, hatte er sich mit Hilfe von Robert’s Rules of Order erst einmal über den ordnungsgemäßen Ablauf von Sitzungen und parlamentarischen Verfahren informiert und hielt sich nun immer strikt an die empfohlene Tagesordnung. Er bat daher Clyde Robertson, zuerst das Protokoll der vergangenen Sitzung vorzulesen.
Nachdem die Anwesenden das Protokoll genehmigt hatten, räusperte Traynor sich kurz und bereitete sich innerlich darauf vor, seinen monatlichen Vorstandsbericht vorzutragen. Er sah sämtliche Mitglieder des Vorstands der Reihe nach an, damit er ganz sicher sein konnte, daß ihm auch alle aufmerksam zuhörten. Außer Dr. Cantor, der eifrig damit beschäftigt war, seine Fingernägel zu säubern, blickten alle interessiert zum Rednerpult. »Wir sehen große Herausforderungen auf uns zukommen«, begann Traynor. »Da wir ein sehr großes Klinikum sind, blieben dem Städtischen Krankenhaus von Bartlet zwar die schlimmsten finanziellen Sorgen erspart - für die kleineren Landkrankenhäuser ist es sicherlich noch viel schwerer zurechtzukommen; doch auch wir müssen uns um unsere Finanzen
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