Todesengel
zu Kevin um, der seine verletzte Nase mit beiden Händen bedeckte. Durch seine Finger hindurch tropfte das Blut auf den Boden. »Kevin!« rief David erschrocken. »Ist alles in Ordnung?«
»Verdammt!« fluchte Kevin leise. »Du Arschloch!«
»Es tut mir leid«, erwiderte David und schämte sich bereits dafür, daß er so hart gespielt hatte. »Laß mich mal sehen.« David ging zu Kevin und wollte behutsam dessen Hände von der verletzten Nase nehmen. »Faß mich bloß nicht an!« raunzte Kevin. »Beruhige dich, alter Kämpfer!« rief Trent Yarborough von der anderen Seite des Spielfeldes. Trent war Chirurg und einer der besten Spieler. Er hatte schon in der Universitäts-Mannschaft von Yale mitgespielt. »Sehen wir uns deinen Kolben mal an. Offen gesagt - ich bin ganz froh, daß es dir endlich mal jemand mit gleicher Münze heimzahlt.«
»Hau ab, du Mistkerl!« fauchte Kevin, nahm aber die Hände herunter. Aus seinem rechten Nasenloch tropfte Blut, und der Nasensattel war nach rechts gebogen. Trent kam näher. »Sieht ganz so aus, als ob dein Zinken gebrochen wäre.«
»Scheiße!«
»Willst du, daß ich ihn dir wieder zurechtbiege?« fragte Trent. »Ich mach’ dir ’nen guten Preis.«
»Wollen wir hoffen, daß du immer fleißig in deine Kunstfehler-Versicherung eingezahlt hast«, sagte Kevin. Dann legte er seinen Kopf nach hinten und schloß die Augen. Trent nahm Kevins Nase zwischen seinen Daumen und den Knöchel seines Zeigefingers und rückte sie wieder in die richtige Position. Das laute Krachen ließ alle Anwesenden - und sogar den Chirurgen selbst - kräftig zusammenzucken.
Trent trat einen Schritt zurück, um sein Werk bewundern zu können. »Sieht besser aus als vorher«, sagte er. David fragte Kevin, ob er ihn nach Hause bringen solle, doch Kevin schien noch immer böse auf ihn zu sein und erwiderte, daß er durchaus selber fahren könne. Kevins Position wurde von einem Ersatzmann eingenommen, und das Spiel ging weiter. David blieb noch einen Augenblick stehen und starrte auf die Tür, durch die Kevin verschwunden war. Dann zuckte er zusammen, als ihm plötzlich jemand auf die Schulter klopfte. David drehte sich um und blickte in Trents Gesicht. »Wegen Kevin würde ich mir keine Sorgen machen«, sagte er. »Soviel ich weiß, hat er selber schon zwei Mitspielern das Nasenbein gebrochen. Er ist kein besonders guter Verlierer, aber ansonsten ist er ganz in Ordnung.« Zögernd stieg David wieder in das Spiel ein.
Als David nach Hause kam, warteten Angela und Nikki bereits abfahrbereit auf ihn. Sie waren zu einer Grillparty mit anschließender Übernachtung eingeladen worden. Die Familien Yansen, Yarborough und Young - sie nannten sich »die drei Ys« - hatten eine Holzhütte an einem nahegelegenen See für einen ganzen Monat gemietet. Steve Young arbeitete in Bartlet als Geburtshelfer und Gynäkologe und gehörte ebenfalls dem Basketball-Team an.
»Los, Daddy«, drängelte Nikki ungeduldig. »Wir warten schon eine ganze Weile auf dich.« David warf einen Blick auf seine Uhr. Er hatte tatsächlich länger gespielt als sonst. Schnell rannte er die Treppe hinauf und verschwand kurz unter der Dusche. Eine halbe Stunde später saßen sie im Auto und fuhren los. Der See lag wie eine smaragdgrüne Perle eingebettet in einem üppig bewaldeten Tal, das von zwei Bergmassiven umgeben war. Die Hütte war schön und recht geräumig. In der Mitte des Holzhäuschens lag das Wohnzimmer, in dem sich ein eingemauerter Kamin befand; die Schlafräume, in denen jeweils mehrere Betten standen, waren rund um das Wohnzimmer angeordnet. Entlang der gesamten Vorderseite des Hauses erstreckte sich eine breite Veranda, von der aus man den See überblicken konnte. Eine Holztreppe führte von der Veranda auf eine T-förmige Anlegestelle, die beinahe zwanzig Meter ins Wasser hineinreichte.
Nikki war mit Arni Yansen sofort im Wald verschwunden, wo dieser seiner Freundin unbedingt eine Baumhütte zeigen wollte. Angela ging in die Küche, um Nancy Yansen, Claire Young und Gayle Yarborough bei den Essensvorbereitungen zu unterstützen. Und David gesellte sich zu den Männern, die es sich mit ein paar Flaschen Bier gemütlich gemacht hatten und nebenbei im Fernsehen ein Spiel der Red Sox verfolgten.
Der Nachmittag schleppte sich träge dahin. Das einzige Übel, das diesen geradezu makellosen Tag etwas trübte, war Kevins Laune. Im Laufe des Nachmittags waren seine Augen blau angeschwollen. Mehr als einmal hatte er David
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