Todesengel
offener, als mein Vater es je sein könnte - er ist total enthusiastisch und richtig liebenswürdig. Heute morgen hat er mich zur Begrüßung sogar umarmt. Mein Vater würde sterben, bevor er so etwas täte.«
David erzählte von den Patienten, die in seine Sprechstunde gekommen waren. Als Angela hörte, wie herzlich Marjorie Kleber ihren Mann willkommen geheißen hatte, war sie ganz gerührt.
»Sie ist Lehrerin und unterrichtet in der dritten Klasse«, fügte David hinzu. »Sie wird also Nikkis Lehrerin sein.«
»Das ist wirklich ein schöner Zufall!« rief Angela. »Ich glaube, sie ist eine wunderbare Lehrerin. Das Problem ist nur, daß sie Brustkrebs hatte, der Metastasen gestreut hat.«
»Oh, wie furchtbar!« murmelte Angela. »Aber es geht ihr gut«, sagte David. »Soweit ich weiß, ist nach ihrer Operation kein weiteres Geschwür aufgetreten. Nachher werde ich mir die Unterlagen nochmal genauer ansehen. Die Arzthelferin meint, es sei reiner Zufall gewesen, daß meine ersten beiden Patienten gleich zwei Krebsfälle waren. Drücken wir die Daumen, daß es wirklich so ist.«
»Ich bin sicher, daß sie recht hat«, munterte Angela ihn auf. Sie wußte nur zu gut, wie schwer David als angehender Assistenzarzt darunter gelitten hatte, wenn einer der krebskranken Patienten gestorben war. David rückte etwas näher zu Angela und flüsterte: »Hast du die Geschichte über Dr. Portland gehört?« Angela schüttelte ihren Kopf.
»Er hat sich umgebracht«, sagte David. »Er soll sich in meinem Büro erschossen haben.«
»Das ist ja schrecklich!« rief Angela. »Mußt du denn in diesem Zimmer bleiben? Vielleicht kannst du ja auch andere Praxisräume bekommen.«
»Wäre das nicht lächerlich?« erwiderte David. »Was sollte ich denn Kelley erzählen? Daß ich abergläubisch bin, wenn es um Tod oder Selbstmord geht? Das kann ich doch nicht sagen. Außerdem sind inzwischen die Wände gestrichen worden, und es liegt ein neuer Teppich im Zimmer.« David zuckte mit den Schultern. »Damit komme ich schon zurecht.«
»Warum hat er sich denn umgebracht?« fragte Angela. »Depressionen, heißt es«, antwortete David. »Wußte ich’s doch«, sagte Angela. »Er sah wirklich depressiv aus. Das hab’ ich dir ja das letzte Mal schon gesagt. Erinnerst du dich?«
»Ich habe nie das Gegenteil behauptet«, erwiderte David. »Ich habe lediglich festgestellt, daß er krank aussah. Er muß sich jedenfalls kurz nach unserem Bartlet-Besuch umgebracht haben. Charles Kelley hat gesagt, daß es im Mai passiert ist.«
»Der arme Mann«, sagte Angela. »Hatte er eine Familie?«
»Ja, eine Frau und zwei kleine Jungen.« Angela schüttelte den Kopf. Sie wußte sehr wohl, daß Selbstmord unter Ärzten gar nicht so selten war. Eine ihrer Kolleginnen aus Boston hatte sich ebenfalls umgebracht.
»Reden wir lieber über etwas Angenehmeres«, schlug David vor. »Charles Kelley hat mir erzählt, daß es hier in der Klinik ein Bonus-System gibt, mit dem die Ärzte belohnt werden, die die wenigsten Patienten stationär behandeln lassen. Je weniger Patienten ich ins Krankenhaus einweise, desto mehr Geld bekomme ich. Man kann sogar eine Reise auf die Bahamas gewinnen. Kannst du dir das vorstellen?«
»Von so einem System habe ich schon gehört«, sagte Angela. »Die verschiedensten Einrichtungen der Gesundheitspflege arbeiten mit derartigen Tricks, um ihre Kosten zu senken.«
David schüttelte ratlos den Kopf. »All dieser Unsinn über ›rationelles Pflegemanagement‹ oder ›gezielten Wettbewerb‹ macht einen wirklich irre. Ich finde die Begleiterscheinungen dieser Rotstiftpolitik mitunter recht zynisch.«
»Bevor ich es vergesse«, wechselte Angela jetzt das Thema, »Dr. Wadley hat uns für heute abend zu sich nach Hause zum Essen eingeladen. Ich hab’ ihm gesagt, daß ich erst mit dir sprechen muß. Was meinst du, sollen wir hingehen?«
»Hast du denn Lust?« fragte David. »Wir haben zwar zu Hause noch eine Menge zu tun, aber ich glaube, wir sollten hingehen. Er ist so nett und so freundlich zu mir gewesen; ich möchte nicht undankbar sein.«
»Und was machen wir mit Nikki?« fragte David. »Das habe ich bereits geklärt«, erwiderte Angela. »Einer der Labortechniker hat mir erzählt, daß Barton Sherwood eine Tochter hat, die zur High School geht und sich nebenbei gelegentlich als Babysitterin ein wenig Geld verdient. Und die Sherwoods sind unsere nächsten Nachbarn. Ich habe das Mädchen schon angerufen, und sie würde heute abend
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