Todesengel
nur eines von mehreren Details, über die ich mir den Kopf zermartert habe, ohne daß dabei irgend etwas herausgekommen wäre. Wie ist er an die Waffe gekommen? Bis heute hat sich niemand gemeldet, der ihm eine Knarre geliehen hat. Fest steht, daß er die Stadt nicht verlassen hat. Wie aber hat er sich dann die Waffe besorgt? Glaubt ihr vielleicht, er hat sie am Straßenrand gefunden?« Kevin lachte hämisch. »Denkt doch mal darüber nach.«
»Dann hat er eben doch eine Waffe besessen, und er hat es niemandem erzählt«, warf Steve ein. »Sogar Arlene hat gesagt, daß sie nichts von einer Waffe wußte. Außerdem ging die Kugel, die Randy getötet hat, durch die Stirn und dann schräg nach hinten. Aus diesem Grunde ist sein Cerebellum ja gegen die Wand gespritzt. Ich habe noch nie gehört, daß ein Selbstmörder sich auf eine solche Weise erschießt. Leute, die sich mit einer Pistole umbringen, stecken sich normalerweise den Lauf in den Mund, um sicherzugehen, daß sie keine Schweinerei anrichten. Manche schießen sich auch von der Seite in den Kopf. Sich von vorn in die Stirn zu ballern, ist nämlich ganz schön schwierig - vor allem, wenn man eine Magnum benutzt, die ja einen ziemlich langen Lauf hat.« Genau wie er es an Davids erstem Arbeitstag getan hatte, imitierte Kevin jetzt noch einmal mit seinen Fingern eine Pistole und richtete sie auf seine Stirn. Gayle schüttelte sich angeekelt. Obwohl sie mit einem Arzt verheiratet war, wurde ihr jedesmal schlecht, wenn von Blut oder von Eingeweiden die Rede war. »Du glaubst also, daß er ermordet wurde?« fragte Steve. »Ich will nur sagen, daß ich persönlich meine Zweifel habe, ob er wirklich Selbstmord begangen hat«, wiederholte Kevin. »Aber ihr könnt ja durchaus anderer Meinung sein.«
»Das ist doch alles Unsinn«, sagte Gayle Yarborough. »Ich bleibe dabei, daß es ein feiger Selbstmord war, und ich bedauere Arlene und ihre beiden Jungen aus tiefstem Herzen.«
»Du hast vollkommen recht, ich bin der gleichen Meinung«, sagte Claire Young.
Nachdem die Unterhaltung vorübergehend ins Stocken geraten war, fragte Steve schließlich: »Wie geht es euch beiden denn eigentlich so?« Dabei sah er Angela und David an, die am anderen Tischende saßen. »Wie gefällt es euch in Bartlet? Habt ihr euch gut bei uns eingelebt?« David und Angela warfen sich einen kurzen Blick zu. David antwortete als erster: »Mir gefällt es hier sehr gut.
Bartlet ist eine schöne Stadt, und da ich ja bereits für die CMV arbeite, muß ich mir über die Gesundheitspolitik keine Sorgen mehr machen. Und dann bin ich ja auch gleich in eine angesehene, große Praxis eingestiegen; manchmal glaube ich fast, daß sie mir für den Anfang sogar etwas zu groß ist. Leider kommen ziemlich viele Onkologie-Patienten zu mir, und damit hatte ich eigentlich nicht gerechnet.«
»Was heißt ›Onkologie‹?« fragte Nancy Yansen. Kevin warf seiner Frau einen ärgerlichen Blick zu. »Krebs«, sagte er verächtlich. »Mein Gott, Nance, das müßtest du aber wissen.«
»Entschuldigung«, erwiderte Nancy in dem gleichen, ärgerlichen Tonfall.
»Wie viele Krebspatienten hast du denn?« fragte Steve. David schloß für einen Moment seine Augen und dachte nach. »Also«,begann er. »John Tarlow ist bei mir in Behandlung; er hat Leukämie und liegt gerade im Krankenhaus. Mary Ann Schiller kommt zu mir; sie hatte ein Krebsgeschwür am Eierstock. Jonathan Eckins hat Prostatakrebs, und Donald Anderson ist ebenfalls mein Patient; bei ihm hatte man zunächst gedacht, er habe Bauchspeicheldrüsenkrebs, doch dann hat sich alles als falscher Alarm herausgestellt, denn er hatte lediglich ein gutartiges Adenom.«
»Der Name Anderson kommt mir bekannt vor«, sagte Trent. »Bei dem Mann ist mal eine Whipple-Operation durchgeführt worden.«
»Schön, daß du uns das erzählst«, warf Gayle mit einem sarkastischen Unterton ein.
»Das sind ja nur vier Krebspatienten«, stellte Steve fest. »Ich hab’ mehr«, erwiderte David. »Sandra Hascher hat ein Melanom, und Marjorie Kleber hatte Brustkrebs.«
»Ich bin wirklich beeindruckt, daß du dich an die Krankengeschichten all deiner Patienten erinnerst«, bemerkte Claire Young.
»Das ist ganz einfach«, erwiderte David. »Ich erinnere mich so gut, weil ich mich quasi mit ihnen angefreundet habe. Ich sehe sie ja regelmäßig, denn sie kommen ständig mit irgendwelchen Gesundheitsproblemen zu mir. Ist ja auch kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, was für anstrengende
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