Todesengel
müssen in Zukunft wesentlich effizienter arbeiten. Sie müssen die Anzahl der Laboruntersuchungen drastisch verringern und weniger - oder besser gar keine - Patienten an Fachärzte überweisen, die nicht für die CMV arbeiten; außerdem muß Ihnen klar sein, daß Ihre Patienten nichts in der Notaufnahme zu suchen haben. Das ist alles. Haben Sie verstanden?« Als David die Geschäftsstelle der CMV verließ, war er völlig geplättet. Er hatte nie das Gefühl gehabt, daß er seinen Patienten zuviel an medizinischer Versorgung angedeihen ließ. Im Gegenteil - er hatte immer nur das Wohl seiner Patienten im Auge gehabt, und darauf war er stolz gewesen. Kelleys Standpauke war entmutigend, wenn man es nicht noch drastischer ausdrücken wollte. Als David in seine Praxis zurückkam, sah er Kevin mit einem Patienten hinter einer Tür verschwinden und mußte daran denken, was dieser ihm für die erste Auswertung seiner Praxisauslastung prophezeit hatte. Kevin hatte recht gehabt: Die Beurteilung war vernichtend ausgefallen. Außerdem fand David es unbegreiflich, daß Kelley mit keinem einzigen Wort auf die Qualität seiner Arbeit eingegangen war und auch nicht davon gesprochen hatte, was seine Patienten von ihm hielten.
»Sie machen sich am besten ganz schnell an die Arbeit«, sagte Susan, als sie David erblickte. »Sonst kommen Sie gleich wieder ins Hintertreffen.«
Kurz vor Mittag verschwand Angela kurz aus ihrem Labor und schaute bei Nikki vorbei. Sie freute sich, als sie sah, daß es ihrer Tochter schon wieder etwas besser ging. Es war sehr beruhigend, daß Nikki kein Fieber bekommen hatte. Nachdem der Spezialist für Atemtherapie sich intensiv um Nikki gekümmert hatte, konnte sie schon viel freier atmen. Angela lieh sich von einer Krankenschwester ein Stethoskop und horchte Nikkis Brust ab. In ihrer Lunge schien sich noch immer viel zuviel Schleim zu befinden, aber offenbar nicht mehr ganz so viel wie am frühen Morgen.
»Wann kann ich wieder nach Hause?« fragte Nikki. »Du bist doch erst ein paar Stunden hier«, erwiderte Angela und streichelte Nikki übers Haar. »Aber offensichtlich geht es dir schon wieder besser, und wenn du so weitermachst, wird Dr. Pilsner dich bestimmt bald wieder entlassen.«
Bevor Angela im Labor an ihren eigenen Arbeitsplatz zurückkehrte, ging sie noch bei einem Kollegen der mikrobiologischen Abteilung vorbei, um sich zu vergewissern, daß Nikkis Auswurf untersucht wurde. Es war sehr wichtig, genau festzustellen, welche Bakterien sich in Nikkis Atemorganen befanden. Der Laborkollege konnte Angela beruhigen; er hatte die Untersuchung bereits vorgenommen.
Angela ging in ihr Büro zurück. Sie wollte sich gerade hinsetzen und mit der mikroskopischen Untersuchung einiger hämatologischer Präparate beginnen, als sie sah, daß die Tür zwischen ihrem Büro und dem von Dr. Wadley nur angelehnt war. Angela ging zur Tür und warf einen verstohlenen Blick durch den offenen Spalt. Dr. Wadley saß vor einem Lehrmikroskop mit zwei Okularen. Als er Angela bemerkte, winkte er sie herein.
»Ich möchte, daß Sie sich das hier mal anschauen«, sagte Dr. Wadley.
Nach einem Blick durch die Linse wußte sie sofort, daß es sich bei dem mikroskopischen Schnitt um Brustgewebe handelte.
»Es ist ein wirklich verzwickter Fall«, erklärte Dr. Wadley. »Die Patientin ist erst zweiundzwanzig Jahre alt. Wir müssen zu einer Diagnose kommen, und die Diagnose muß stimmen. Lassen Sie sich Zeit.« Um seinen letzten Worten Nachdruck zu verleihen, legte er seine Hand auf Angelas Oberschenkel. »Lassen Sie sich nicht von einem spontanen Eindruck irreleiten. Sehen Sie sich die Probe ganz genau an!«
Angela ließ ihr geübtes Auge so gründlich wie immer über den Gewebeschnitt wandern, doch sie konnte sich nicht konzentrieren. Dr. Wadley hatte immer noch seine Hand auf ihrem Oberschenkel. Während er erklärte, welche Besonderheiten ihn hauptsächlich zu seiner Diagnose verleitet hatten, konnte Angela ihm kaum folgen. Seine Hand auf ihrem Knie bereitete ihr ein äußerst unangenehmes Gefühl.
Dr. Wadley hatte sie in der letzten Zeit öfter mal angefaßt, und auch Angela hatte ihren Chef gelegentlich berührt. Aber diese Körperkontakte waren immer in einem akzeptablen Rahmen geblieben; sie hatten sich mal am Arm berührt, sich gegenseitig auf den Rücken geklopft oder sich kumpelhaft umarmt. Und beim Softball-Spiel am Labor Day hatten sie sogar mehrfach wie zwei Teenager überschwenglich ihre Handflächen
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