Todeserklärung
Selbstpräsentation. Innerlich Distanz bewahrend, hatte Knobels Analyse ergeben, dass einige äußere Umstände den widerwärtigen Wettbewerb der Selbstdarstellung begünstigten:
Erstens war man sich menschlich unter den Sozien zu fern, als dass Gesprächsthemen außerhalb der Kanzlei über einen längeren Zeitraum als wenige Minuten die Partner miteinander verbunden hätten. Das Geschäft war und blieb das einzige verlässliche Bindeglied einer jeden Unterhaltung.
Zweitens bildete die Raumatmosphäre im Dubrovnik einen Gegensatz zur räumlichen Atmosphäre der Kanzlei mit ihren hohen, lichtdurchfluteten Büros in dem den Sozien vorbehaltenen Erdgeschoss. Was bei geschäftlichen Besprechungen in der Kanzlei vielleicht peinlich oder unangemessen wirken mochte, weil es dem Geist der Kanzlei widersprach, von dem Dr. Hübenthal so gern redete, wirkte in der Atmosphäre des Dubrovnik ganz anders. Die nüchterne Geschäftigkeit des Kanzleigebäudes in der Prinz-Friedrich-Karl-Straße und die Professionalität der dortigen Arbeitsabläufe fand im Dubrovnik ihren Ersatz in einer Intimität, die zwar die menschliche Ferne untereinander nicht aufhob, gleichwohl aber den Nährboden für eine über die Stränge schlagende Prahlerei bot, vor der man in der Kanzlei zurückscheute.
Drittens schließlich war der jeweilige Aufenthalt im Dubrovnik zeitlich kalkulierbar. Der übliche Kanon, beginnend mit der Bestellung des Essens bis zum abschließenden Slibowitz, beanspruchte etwa eine Dreiviertelstunde, und Knobel schien es, als habe der damit vorgegebene zeitliche Rahmen den turnusmäßig anwesenden Sozien in gewisser Weise eine Struktur vorgezeichnet, die das Gespräch prägte. Den leuchtenden Monologen Dr. Hübenthals folgten ebensolche Schilderungen Löffkes, dann solche von Frau Meyer-Söhnkes und schließlich des soeben aus dem Kreis der angestellten Anwälte in den Sozienstand erhobenen Dr. Cornelius Dippelstedt, der sichtlich darum bemüht war, sich den Gesprächsgepflogenheiten tastend anzugleichen und nicht durch Fehltritte unangenehm aufzufallen. Nachdem sein Aufstieg ihn in der Kanzlei nach oben gespült hatte, war Knobel still geworden. Und er hatte Dr. Hübenthals mit warmer, sonorer Stimme vor einigen Wochen im Dubrovnik formulierte Anrede Mein lieber Schweiger für sich mit gewisser Dankbarkeit entgegengenommen, hoffend, seine Anwesenheit im Dubrovnik auf eine Statistenrolle beschränken zu können, die ihn der vertiefenden Teilnahme an den faden Gesprächen enthob.
Knobel irrte. Er hatte nicht bedacht, dass das Gesprächsritual im Dubrovnik nur so lange einer mit der Repeat-Taste eines CD-Spielers angewählten Wiederholung eines Musiktitels glich, bis die stille Rivalität der Sozien einen Anlass bot, unvermittelt aus dem anbiedernden Einerlei zum Angriff überzugehen und gegeneinander Position zu beziehen.
An jenem Mittwochmorgen im Februar, als Marie ihm per Handy über die Funde in Sebastian Pakullas Briefkasten berichtet und er aus seiner Sicht ein durchaus denkwürdiges Gespräch mit Gregor Pakulla geführt hatte, war er danach mit Dr. Hübenthal, Hubert Löffke, Charlotte Meyer-Söhnkes und Dr. Cornelius Dippelstedt zum Mittagessen gegangen und hatte wie üblich nach dem Verlassen der Kanzlei die Ampel an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße überquert. Im Dubrovnik trafen ihn Dr. Hübenthals unerwartete Worte:
»Wir müssen an unseren Umsätzen arbeiten!«
Und während das Wir noch die Solidarität der Kanzlei einforderte, einem jeden Gelegenheit bot, sich schützend hinter dem Wir zu verstecken und der Kanzlei nicht mehr zu schulden als seinen sozietätsvertraglich vereinbarten Beitrag zum Wir , setzte Dr. Hübenthal nach:
»Das gilt insbesondere auch für Sie, mein lieber Knobel.«
Knobel schreckte auf, rückte das auf einer Papierserviette bereitgelegte Besteck gerader als es ohnehin schon war, empfand den Kellner, der sich gerade anschickte, zu servieren, in dieser Situation gleichermaßen störend wie willkommen und fragte ungelenk, nachdem ein jeder seinen Krautsalat erhalten hatte:
»Wieso?«
Dr. Hübenthals Miene war ernst geworden.
»Die Umsätze sind im letzten Jahr – wie wir alle wissen – im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Und der Januar, der in den vergangenen Jahren immer einen Geldregen brachte, weil wir viele Rechnungen aus dem alten ins neue Jahr gezogen haben, fällt in diesem Jahr aus wie ein beliebiger Monat im Jahresdurchschnitt.«
Dr. Hübenthal hob seine
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