Todeserklärung
Apfelschorle, und die anderen nahmen ihr Getränk ebenfalls in die Hand. Das an dieser Stelle übliche Zum Wohl wollte nicht über die Lippen.
Stattdessen Dr. Hübenthals klagende Fortsetzung:
»Wir haben Kosten: Miete Kanzleigebäude 15.000,00 Euro pro Monat, Gehalt für Sekretärinnen und angestellte Anwälte 100.000 Euro, Dienstwagen der Partner 8.000 Euro. Die anderen laufenden Kosten brauche ich erst gar nicht zu erwähnen!«
Dr. Dippelstedt nickte und signalisierte, dass er als Neuling die ihm gesetzten Erwartungen nicht enttäuschen werde und errötete zugleich bei dem Gedanken, dass er nicht wusste, wie er die Erwartungen erfüllen sollte. Charlotte Meyer-Söhnkes nickte ebenfalls und krächzte, dass sie einige dicke Mandate an der Angel habe und ließ mit einem schüchternen Lächeln wissen, dass schon alles klappen werde, woraufhin sie betreten zu Boden blickte, was nichts anderes hieß, dass es möglicherweise auch nicht klappen könnte. Dr. Hübenthals Blicke wechselten zu Löffke. Löffke zog an seiner Zigarette, blies eine Rauchwolke über den Tisch, sammelte sich und ließ vernehmen:
»Neues Mandat rangezogen. Firma Europe Logistics …«
Nochmals an der Zigarette gezogen, setzte er nach:
»Gehen mit der Zeit! – Haben Zukunft! – Sind dick drin! – Und wir dabei!«
Löffke hielt inne, jagte eine weitere Qualmwolke in die Runde und verkündete:
»Promoviere jetzt übrigens!«
Er bemerkte durch den wabernden Rauch Dr. Hübenthals erstaunt hochgezogene Augenbrauen und vollendete:
»Wirtschaftsrecht. Ein Thema aus dem Wirtschaftsrecht.«
Löffke hatte stets darunter gelitten, keinen Doktortitel vorweisen zu können. Alle bisherigen Versuche, einen Doktorvater zu finden, waren fehlgeschlagen, und Löffke hatte es aufgegeben, seine nutzlosen Bemühungen zu schildern, deren Misserfolg in der Kanzlei mit gewissem Amüsement zur Kenntnis genommen wurde und seiner Erfolgssucht einen als gerecht empfundenen Dämpfer versetzte. Nun also schien er einen Professor gefunden zu haben, der bereit war, ihn zu promovieren. Er kostete das allseitige Erstaunen aus und schwoll vor Stolz weiter an.
Nachdem erwartungsgemäß hierzu niemand sachlich etwas beitragen konnte, nutzte Löffke den gewonnenen Rückenwind und kehrte zu den praktischen Dingen zurück:
»Möchte noch erwähnen, dass ich heute zum sechsten Mal in Folge Postkönig war!«
Knobel sah zu Dr. Hübenthal herüber. Der Senior schwieg, doch das Schweigen war unausgesprochenes Lob, und Löffke war voll des Genusses darüber. Und er setzte nach:
»Ich tue alles nur für die Kanzlei!«
Hübenthals Blicke wechselten zu Knobel.
»Ich hoffe, auch Sie haben neue Mandate?! – Der Januar war wirtschaftlich überaus flau bei Ihnen!«
Knobel errötete. Er hatte den Angriff des Seniors nicht nur nicht erwartet. Er hatte darauf vertraut, dass der Senior sein Versprechen hielt, das er ihm vor über einem Jahr gegeben hatte und ebenso wie Knobels plötzlicher Aufstieg gewissermaßen in einer Verschwörung begründet war: Knobel hatte einen engen Freund Hübenthals und zugleich einen der wichtigsten Mandanten der Kanzlei in einer Mordgeschichte beschützt, verteidigt, letztlich sogar gedeckt, damit dem Mandanten und noch mehr dem Wohl der Kanzlei gedient und sich so das Wohlwollen des Seniors verdient.
Knobel nickte hilflos und stocherte im Krautsalat. Was war von dieser Solidarität geblieben, deren Band in dem geheimen Wissen Hübenthals und Knobels um den seinerzeitigen Mandanten Rosenboom wurzelte, beide auf Lebenszeit aufeinander einzuschwören schien und in Knobels Ernennung zum Vizechef der Kanzlei eine seiner Mitwisserschaft entsprechende Honorierung erfuhr?
Knobel fühlte sich nackt und verraten, war fast im Begriff, in die nächste von Löffke ausgestoßene Rauchwolke sein Geheimnis zu verraten, erkannte unvermittelt, wie relativ Bündnisse sind, die auf die Ewigkeit geschlossen sind und ihre Beständigkeit in der sicheren Erwartung suchen, dass das geheime Wissen nie an die Öffentlichkeit gelangen dürfe und deshalb der eine Mitwisser den anderen beschützen werde.
In diesem Moment, als Knobel zauderte, in seinem Krautsalat stocherte, einen Bissen zu sich nahm und plötzlich gewillt war, einer Explosion ähnlich sein Wissen um den Fall Rosenboom herauszuschleudern, kamen Hübenthals besänftigende Worte. Sie verrieten, dass der Senior just in diesem Moment Knobels Gedanken erahnt hatte und alles daran setzte, jene Explosion zu verhindern,
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