Todeserklärung
im erlebten Genuss, dann, Schluck für Schluck Cabernet Sauvignon, den er mit Lisa immer wieder bei Jacques’ Weindepot in Eichlinghofen nachorderte, die Rückkehr in sein wirkliches Leben und zuletzt die nüchterne Erkenntnis, dass der Umstand, dass er Lisa nicht liebte, nicht zu relativieren vermochte, dass er sie mit allem allein ließ. Das dritte Glas an diesem Abend benebelte, aber es täuschte nicht seine Sinne. Knobel war Egoist, und er empfand sich als solcher.
7
Marie fuhr am nächsten Mittwochmorgen nach Vorlesungsschluss mit der S-Bahn von der Dortmunder Universität zum Bahnhof Dorstfeld, stieg dort noch in die S-Bahn Richtung Unna um und verließ den Zug am nächsten Haltepunkt Dortmund West. In unmittelbarer Nähe befand sich die Adlerstraße in Dortmunds Westend, ein Viertel mit zumeist aus der Gründerzeit stammenden Häusern, dessen Kneipen-und Kulturszene sich vor Jahren in Abkehr zum Ostwallviertel formiert und mit einem Namen versehen hatte und seither an Beliebtheit gewann. Die hohen Häuser ähnelten denen der Nordstadt, in der die Brunnenstraße und Maries Wohnung lagen. Marie folgte von der S-Bahn-Haltestelle der Sternstraße, gelangte dann nach links in die Adlerstraße und blieb vor der Hausnummer 71 stehen.
Marie wartete, bis zwei kleine Jungen lärmend das Haus verließen und stahl sich dann in den Hausflur. In einer Nische hingen die schlichten eisernen Briefkästen. Sebastian Pakulla hatte seinen mit einem handgeschriebenen Namensschild beklebt, genauso wie sein Namensschild draußen an der Tür. Im Kasten befanden sich einige Schriftstücke; das sah sie durch die Sehschlitze im unteren Bereich der Kästen. Sie griff oben in den Briefkasten, und nach einigen Versuchen gelang es ihr, Sebastian Pakullas Post herauszuziehen: ein Werbeblatt vom nahen REWE -Supermarkt mit Sonderangeboten für das vorletzte Wochenende, ein Hinweis auf die Altkleidersammlung am letzten Wochenende im Januar und eine Telefonrechnung. Marie sah sich um, und als sie sicher war, dass sie niemand beobachtete, öffnete sie den Umschlag der Deutschen Telekom: Eine Rechnung für den vergangenen Januar. Monatliche Grundgebühr zuzüglich einige wenige Euro für geführte Telefonate. Am Ende ein Minimalbetrag. Sebastian Pakulla hatte bis vor gewisser Zeit seine Post aus dem Briefkasten abgeholt. Wirklich aktuelle Briefsendungen gab es nicht. Gut möglich, dass Sebastian Pakulla seit Wochen, vielleicht sogar seit Jahreswende, nicht mehr den Briefkasten geleert hatte. Marie warf die Reklame wieder in den Kasten, die Telekomrechnung steckte sie ein. Dann verließ sie das Haus.
Auf dem Weg zurück informierte sie Stephan von dem Ergebnis ihrer Recherche, und Knobel ahnte, dass der Fall Sebastian Pakulla sich nicht so bald auflösen werde. Das Auffinden der Adresse des Bruders war zu einfach, als dass sein Mandant Gregor Pakulla die aktuelle Adresse seines Bruders Sebastian in der Adlerstraße nicht über das Einwohnermeldeamt oder auf einem anderen Wege selbst hätte ausfindig machen können. Dies galt um so mehr, als Gregor für die Erbauseinandersetzung seinen Bruder Sebastian dringend brauchte und deshalb nicht erklärlich erschien, dass Gregor nicht in der Lage gewesen sein sollte, mit simplen Methoden den Aufenthaltsort seines Bruders ausfindig zu machen. Es lag auf der Hand, dass sich Gregor Pakullas Mandat nicht darin erschöpfen konnte, den Bruder Sebastian, der im Telefonbuch nicht verzeichnet war, an seiner Wohnadresse anzutreffen, obwohl der Briefkasten seine Anwesenheit oder höchstens eine Abwesenheit von einigen Wochen suggerierte. Knobel konnte seine Vermutung nicht begründen, aber er war sich der Richtigkeit seiner Vermutung gewiss. Er erklärte Marie, dass er jetzt erst mit seinem Mandanten reden wolle. Danach werde er sich wieder melden.
Knobel hatte sich angewöhnt, seine Mandanten anzurufen, wenn er ein noch so kleines Ergebnis vermelden konnte. Gewöhnlich trieb ihn sein von ihm nicht eingestandener Wunsch nach Lob dazu, seine Bemühungen und ihre ersten Erfolge zu schildern, was häufig nicht nur die äußere Anerkennung seiner Kunden einbrachte, sondern auch seinen nachhaltigen und durchaus werbewirksamen Ruf begründete, dass Knobel seine Mandanten umgehend am Fortgang ihrer Sachen teilhaben ließ und er sich auf diese Weise als äußerst zuverlässiger Anwalt empfahl. Er hatte bereits Mandanten gewonnen, denen er gerade wegen dieser Informationspraxis ans Herz gelegt worden war. Doch
Weitere Kostenlose Bücher