Todeserklärung
sich jeder Bewertung in dem zu lösenden Fall. Die offen eingeräumte Gier seines Mandanten nach der Aufteilung der von Esther van Beek hinterlassenen Erbschaft war vielleicht moralisch anrüchig, erklärte aber glaubhaft den Ehrgeiz des Mandanten, seinen Bruder Sebastian zu finden.
Die Habgier seines Mandanten zu bewerten, stand Knobel nicht zu. Und dies um so weniger, als er selbst gierig Honorarvorschüsse angefordert und auch von Gregor Pakulla bereitwillig erhalten hatte. Der eigentliche Knackpunkt des Falles, der Grund seines Misstrauens und seiner lauernden Fragen lag letztlich genau hier: Ihn störte das Missverhältnis zwischen dem Mandatsauftrag und dem Aufwand, den Gregor Pakulla betrieb. Nicht, dass die Suche nach Sebastian vor dem Hintergrund des durch die Erbschaftsauseinandersetzung zu erzielenden Vermögens für Gregor Pakulla nicht nachvollziehbar wäre. Aber sein Mandant investierte mit auffällig hohem Aufwand in kleine Schritte, deren absehbare Erfolge hierzu nicht im Verhältnis standen. Warum zahlte er ohne Murren über 20.000 Euro Vorschuss für einen Auftrag, der sich zunächst in banaler örtlicher Recherche erschöpfte?
Warum beauftragte er eine Anwaltskanzlei und nicht einen Privatdetektiv, der bei der Suche nach Sebastian effektiver arbeiten könnte?
Warum schließlich schaltete Gregor Pakulla die örtliche Presse ein, um bei der Suche nach Sebastian jene Resultate zu erzielen, die den Ergebnissen entsprachen, die Knobel mit Marie selbst gewonnen hatte, die sein Mandant aber nicht einmal nachfragte, als sie ihm präsentiert wurden?
Konnte es einen vernünftigen Grund geben, anzunehmen, dass die Zeitungsrecherche einen Aufenthaltsort Sebastians offenbaren würde, den man nicht so hätte ermitteln können?
Sollte sich über die Zeitungsrecherche ernsthaft eine andere Adresse ermitteln lassen als jene in der Adlerstraße, die Sebastian der ihm zugehenden Post nach zu urteilen immer noch innehatte?
Knobel stellte sich diese Fragen und fand keine plausiblen Antworten. Gregor Pakullas Vorgehen war aus seinem Motiv heraus simpel und klar: Ihm war jedes Mittel recht, Sebastian zu finden.
Und warum sollte sich nicht auf die Zeitungsartikel hin jemand melden, der zu Sebastians Verbleib eine Aussage machen konnte?
Bestand zwischen dem von Gregor Pakulla betriebenen Aufwand und dem Gegenstand seines Mandatsauftrages wirklich ein Missverhältnis, das zu Zweifeln Anlass gab?
Knobel fand keine Antwort, und nebenbei erinnerte er sich daran, dass er es dem von Gregor Pakulla geleisteten Honorarvorschuss von weiteren 20.000 Euro zu verdanken hatte, seinen Erzfeind Hubert Löffke mit der Gutschrift dieses Betrages zunächst matt gesetzt zu haben.
16
Wie immer, wenn er sich seiner Sache nicht sicher war, berichtete Knobel Marie alles im Detail, bemühte sich um eine Schilderung, die der eines guten Journalisten glich, brachte wertungsfrei alle Einzelheiten, achtete auf konkrete Wiedergabe des chronologischen Ablaufs der Ereignisse, hob durch seine Stimme nichts hervor oder drängte es in den Hintergrund. Er repetierte gegenüber Marie protokollhaft den Inhalt seines Gesprächs mit Gregor Pakulla, behielt seine zweifelnden Fragen für sich, gab am Ende nur preis, was ihn nachhaltig beschäftigte:
»Kein Mandant hat uns jemals für einen solch lapidaren Fall über 20.000 Euro Vorschuss geleistet«, und er konkretisierte, dass sich das Adjektiv lapidar nicht auf die Bedeutung der Suche nach dem Bruder an sich bezog.
»Es ist nur so«, erklärte er, »dass dieser Fall, wie Gregor Pakulla zu Beginn des Mandats richtig bemerkte, eigentlich gar kein Rechtsfall ist und überdies keinen Streitwert bildet, den man nach den gesetzlichen Vorschriften annähernd in eine Höhe puschen könnte, die ein solches Honorar rechtfertigt.«
Marie ignorierte wie stets seine Hinweise auf juristische Einzelheiten. Wenn nicht die Rechtswissenschaft an sich, so waren ihr erklärtermaßen Bezeichnungen irgendwelcher Vorschriften zuwider, deren Sinngehalt sich für Außenstehende ohnehin nicht erschließen und deshalb auch nicht durch die Nennung von Paragrafenzahlen ersetzen lassen konnte. Als Knobel aus seinen theoretisierenden Gedanken zurück in der Wirklichkeit angelangt war, schlug sie vor, zunächst noch einmal Herrn Theodoridis aufzusuchen.
»Denn«, so erklärte sie, »dein Mandant hat uns ja förmlich eine Eintrittskarte in Sebastians Wohnung geliefert.«
Knobel verstand nicht recht, wollte angesichts seiner
Weitere Kostenlose Bücher