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Todeserklärung

Todeserklärung

Titel: Todeserklärung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Erfmeyer
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antwortete: Um so zu leben, dass man ständig vornehm Essen gehen kann, muss man schon ganz ganz viel Geld haben, so wie Onkel Johann eben. Aber das ist etwas Außergewöhnliches.
    Und dann sagte ich, Sie werden es mir hoffentlich nicht als Raffgier auslegen, denn als Kind denkt man so noch nicht: Dann werden Basti und ich später auch mal so reich werden wie Onkel Johann .
    Und Esther antwortete:
    Dann darfst du den Basti aber nicht immer so ärgern. Die Eltern sagen immer, dass du ihm ständig die Spielsachen wegnimmst und der Basti ganz oft weint. Der Basti ist nämlich ein ganz lieber Junge. – Du bist ihm überhaupt nicht ähnlich. Du bist nicht wie ein Bruder .
    Dieser Satz hat sich bei mir eingefressen. Und es dauerte nicht mehr lange, bis ich die Wahrheit über die Adoption erfuhr. Verstehen Sie, Herr Knobel? Als ich erfuhr, dass ich nicht Sebastians Bruder war, wollte ich irgendwann auch nicht mehr sein Bruder sein. Erwarten Sie wirklich, dass ich eine Tante Esther liebe oder nur schätze, die vor Gemeinheiten sprühte? Diese Frau hat ihr Leben gelebt. Aber es hat mit dem meinigen keinerlei Berührungspunkte, außer dem rechtlichen, dass ich kraft Adoption und dem Umstand, dass sonst kein gesetzlicher Erbe vorhanden ist, mit Sebastian Rechtsnachfolger bin. – Sie werden gemerkt haben, in diesem Satz waren wieder zwei rechtliche Begriffe! – Sie sollten wissen, dass ich Dortmund nicht einfach so den Rücken gekehrt habe. Ich wollte weg – aber dieser Wunsch bezog sich auf eine Familie, die niemals die meine war und in mir eher den Wunsch auslöste, mich ganz aus diesem sozialen Umfeld zu verabschieden.«
    Frau Praetorius nutzte diesen Einschnitt, um ihr Glas mit Mineralwasser zu erheben.
    »Ich wünsche mir, dass Sie heute klarer sehen!«, sagte sie und lächelte Marie und Stephan an.
    »Ja, worauf trinken wir?«, fragte Gregor Pakulla.
    »Vielleicht darauf, dass Sie heute der Wahrheit auf die Spur kommen. Wenn Sie so viele Zufälle hergeführt haben, soll es für Sie nicht vergebens sein.«
    Sie stießen an.
    »Sie sagten gerade, dass sich ein Jahr vor Esthers Tod alles geändert habe«, wiederholte Knobel, »und ich erinnere an meine Frage: Kannten Sie Sebastians Wohnung?«
    »Und ich wiederhole: Gleich! Alles der Reihe nach«, wehrte Gregor Pakulla ab. »Das Zweite, was für Sie neu und zugleich wesentlich ist: Etwa ein Jahr vor ihrem Tod trat bei Esther so etwas wie ein Gesinnungswandel ein. Sie hatte offenbar erkannt, dass der über alles geliebte Sebastian sozial auf keinen grünen Zweig kam, jedenfalls nicht auf einen Zweig von der Sorte, den sich die steinreiche Esther vorstellte. Und es plagte sie wohl auch das schlechte Gewissen, dass sie den Bastard Gregor, der in seinem beruflichen Werdegang und seinem wirtschaftlichen Erfolg viel mehr ihren Erwartungen entsprach als Sebastian, stets verstoßen hatte. Unsere Eltern waren zu diesem Zeitpunkt bereits rund sechs Jahre tot. Esther wünschte, dass Sebastian und ich in Ermangelung sonstiger Erben zu gleichen Teilen ihren Nachlass haben sollten, aber sie hatte eine Bedingung, über die sie mit uns beiden offen sprach: Wir sollten zueinander finden, wie Brüder einander achten. Wenn das funktioniere, sagte sie, brauche sie testamentarisch ja nicht anderweitig verfügen, wobei sie ihr kaltes Lächeln zeigte, was ohne Zweifel die Drohung war, den einen oder anderen von uns mit einer letztwilligen Verfügung zu enterben, was ja, wie Sie wissen, Herr Knobel, ohne weiteres möglich gewesen wäre, denn – Achtung, es folgen Rechtskenntnisse – weder Sebastian noch ich sind gegenüber unserer Tante Esther Pflichtteilsberechtigte. Esther hätte es ohne weiteres so einrichten können, dass wir beide gar nichts bekamen. Womit sie drohte, war also letztlich die Errichtung eines Testamentes überhaupt. Denn solange sie keine Verfügung traf, blieb es bei der gesetzlichen Erbfolge. Obwohl wir lediglich ihre Neffen waren, waren wir in Ermangelung anderer näherer Verwandter von Gesetzes wegen zu gleichen Teilen Erben.«
    Knobel nickte und nahm einen Schluck Rotwein.
    »Also nahm ich mit Sebastian Kontakt auf«, fuhr Gregor Pakulla fort. »Natürlich besuchte ich ihn in seiner Wohnung in Dortmund in der Adlerstraße, um Ihre Frage zu beantworten. Ich lernte seine Behausung kennen, sein so genanntes Atelier im Wohnzimmer, voll mit einander sehr ähnlichen Landschaftsbildern: Mallorca, wie Sebastian erklärte. – Was reden Sie mit einem Bruder, besser einem

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