Todeserklärung
gesagt hat. So ist eben mein Eindruck.«
»Sie labern!«, meinte Knobel schroff.
»Ich muss doch etwas Zeit füllen!«, erwiderte Pakulla sanft. »Stellen Sie sich meine Situation vor: Ich sitze nichtsahnend mit meiner lieben Kirsten in Sa Pobla, da erscheint mein Anwalt mit seiner Detektivin, und ich muss Ihrem Tonfall entnehmen, dass Sie mir nicht wohlgesinnt sind. Wie eigentlich von Beginn des Mandats an«, setzte er hinzu.
»Ihren Überfall muss ich erst verarbeiten, Herr Knobel, das werden Sie mir nicht übel nehmen. Und wenn ich es mit Komplimenten für Ihre Frau Schwarz tue, dann ist das weder verwerflich noch in der Sache gelogen. Sie machen einen entzückenden Eindruck«, sagte er an Marie gewandt, setzte sich und bat mit einer Geste, am Tisch Platz zu nehmen.
»Sie fragen nicht, wie wir Sie gefunden haben«, bemerkte Knobel.
»Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte Gregor Pakulla trocken und hob interessiert die Augenbrauen.
Knobel erzählte von dem rätselhaften Bild von Sebastian, von ihrer Spazierfahrt über den nordöstlichen Teil der Insel, seine plötzlichen Magenschmerzen, die Suche nach einer Toilette und dem Zufallsfund an der Bushaltestelle am Bahnhof von Sa Pobla.
»Ja, so nehmen solche Geschichten ihren Lauf«, sinnierte Gregor Pakulla, »und der Toilettenbesuch ist darin ein nicht hinwegzudenkender Kausalfaktor, conditio sine qua non gewissermaßen. So ist das Leben.«
»Ein in der Rechtswissenschaft gebräuchlicher Begriff«, antwortete Knobel auf Maries fragenden Blick. »Herr Pakulla meint, dass der Toilettenbesuch in der Geschehniskette nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass zugleich auch der Erfolg, nämlich sein Auffinden in dieser Wohnung, entfiele. Womit er zweifellos recht hat.«
Dann wandte er sich seinem Mandanten zu.»Sie verblüffen mich immer wieder mit Ihren Rechtskenntnissen. Ob es der Begriff Kommorienten ist oder Ihre Kenntnis vom ›Todeserklärungsverfahren‹. Oder jetzt der Begriff conditio sine qua non .«
»Ich hatte Ihnen erzählt, dass ich Wirtschaft studiert habe«, erwiderte Pakulla. »Das schließt einige Vorlesungen im Bereich Jura mit ein. Und ich habe immer auch mal rechts und links des Weges geschaut. Vieles von dem, was ich weiß, hat mir im Übrigen Kirsten beigebracht. Kirsten hat, als sie noch in Deutschland lebte, einige Semester Jura studiert, bevor sie das Studium abgebrochen und geheiratet hat. Eine Ehe, die schon seit Jahren nicht mehr besteht, Kirsten aber hier nach Mallorca verschlagen hat. – Jura interessiert mich. Das Abstraktionsprinzip im Bürgerlichen Recht zum Beispiel fasziniert mich. Das ist eine Denkweise, für die ich mich begeistern kann. Hätte ich Jura studiert, wäre ich aller Wahrscheinlichkeit nach Anwalt geworden. – So wie Sie, Herr Knobel, aber ich würde im Gegensatz zu Ihnen unvoreingenommen an die Mandanten herangehen.«
»Das tue ich«, beharrte Knobel.
»Nein, nein! Sie haben ein Bild von mir, und Sie haben ein Bild von meinem Bruder. Und Sie haben nach diesen Bildern kategorisiert. Mein Bruder ist immer der Gute, ich bin der Schlechte. Wenn ich recht überlege, habe ich dieses Bild selbst in Sie hineingepflanzt und darf mich heute nicht darüber beschweren. – Erinnern Sie sich: Bei unserem ersten Gespräch habe ich Ihnen gesagt, dass aus Sicht meiner Eltern Sebastian immer der Begabtere, der Bessere war. Aber wie ist die Realität? Ich habe einen Beruf ergriffen, bin darin erfolgreich, lebe gut davon. – Und Sebastian? – Ein Maler, der unregelmäßig irgendwelche Bilder pinselt, die er mühselig an den Mann bringt. Eine schlichte Wohnung in der Adlerstraße, die er nur so eben bezahlen kann …«
»Sie kennen also seine Wohnung?«, warf Knobel ein.
»Gleich, Herr Knobel, gleich! Wir werden hier und jetzt alles klären! Lassen Sie mich fortfahren! Diese Realität wollten Sie nicht sehen, als ich Ihnen das Mandat übertrug. Sie haben das übernommen, was ich Ihnen als Meinung meiner Eltern wiedergegeben habe. Aber wie gesagt: Ich darf Ihnen das eigentlich nicht vorwerfen! Ich selbst habe die wesentliche Ursache gesetzt. Erinnern Sie sich weiter: Tante Esther. Die arme blinde Frau, die sich jeder als Lieblingstante wünscht. So konnte sie sein: warmherzig, lieb, gebefreudig. So, wie man sich seine Lieblingstante vorstellt. Aber so war sie mir gegenüber nicht. Jedenfalls lange Jahre nicht. Erst etwa ein Jahr vor ihrem Tod änderte sich alles.«
Frau Praetorius unterbrach. »Ich sehe, das wird jetzt eine
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