Todeserklärung
Nichtbruder, mit dem Sie nichts verbindet? Kein gemeinsames Empfinden, keine gemeinsamen Freunde, keine Familie, keine gemeinsamen Hobbys? – Also, dachte ich mir, suche ich eine neutrale Plattform, auf der ich Sebastian begegnen, aber auch ausweichen kann. Ich sah auf seine Bilder und sagte: Lass uns nach Mallorca fahren, ein paar Tage miteinander verbringen, und wir werden sehen, wie wir miteinander klarkommen .
Sebastian war begeistert, eine Gefühlsregung, die ich diesem Menschen nie zugetraut hätte.Er fahre ohnehin für einige Monate dorthin, um sich inspirieren zu lassen. Und dann kam noch ein Satz, der von ihm stammte, den Sie aber ohne weiteres mir zuschreiben würden: Wenn Tantchen ins Gras beißt, wird Mallorca meine zweite Heimat. Was meinst du: Macht sie es noch lange?
Ja, so war er, der gute Basti. Parasit wie eh und je. Er kalkulierte mit Esthers Ableben, Herr Knobel, nicht ich ! Von alledem erfuhr Esther natürlich nichts. Die blinde alte Dame residierte im Wohnstift Augustinum und erfuhr, sowohl von Sebastian als auch von mir, dass wir zueinander in Kontakt standen und uns bemühten, die ›Abmachung‹ in die Tat umzusetzen und wie Brüder füreinander da zu sein. Als sie von unserem Mallorcaaufenthalt hörte, war sie außer sich vor Freude. Stolz auf ihre Neffen. Lächerlich! – Ob Sie es glauben oder nicht: Ich hatte tatsächlich vor, mich Sebastian zu nähern. Ich hatte zwar durch meinen Wegzug von Dortmund praktisch mit der Familie, die nicht meine war, gebrochen. Aber natürlich braucht jeder Mensch Wurzeln und selbst wenn sie – sagen wir mal – nur implantierte Wurzeln sind. Es ging tatsächlich nicht allein um das Geld, was uns Esther hinterlassen würde.
Also ging es ab nach Mallorca. Sebastian flog von Dortmund aus, ohne Rückflugticket, weil er ja einige Monate bleiben wollte und seine Inspirationsreise natürlich nicht kalendarischen Vorgaben folgen konnte. Er wollte, ganz seiner Art entsprechend, zurückkehren, wann es ihm beliebt. Ich flog von Frankfurt aus, hatte für zwei Wochen ein Hotel gebucht und auch den Rückflug.«
»Waren Sie gemeinsam in einem Hotel?«, fragte Marie.
»Ja, Hotel Horizonte an der Calle Vista Allegre . Während der zwei Wochen machten wir das, was viele Touristen machen: Altstadtbesuche in Palma, eine Fahrt mit der Schmalspurbahn nach Sóller und ausgiebige Strandbesuche. – Was uns aber einfach nicht gelang: Wir kamen uns nicht näher. Kein Gespräch, das über müde Anläufe hinausging. Wir waren wie zwei Einzelreisende, die wie zufällig beieinander waren. Natürlich stellten wir das in unseren regelmäßigen Anrufen bei Esther anders dar. Da log jeder von uns, was ging. Die Ausflüge, die wir tatsächlich zusammen gemacht hatten, waren in unseren Erzählungen voller Vertrautheit, langer Gespräche und aufkeimender inniger Bruderliebe, die fast kitschige Auswüchse annahm. Die Tante war glücklich, und wir versuchten, die zwei Wochen halbwegs anständig über die Bühne zu bringen.«
»Jetzt komme ich ins Spiel«, warf Frau Praetorius ein, die zwischenzeitlich eine zweite Flasche Wein geöffnet hatte.
»Ja, jetzt kommt Kirsten ins Spiel«, nickte Gregor Pakulla. »Was macht man abends mit einer Begleitung, mit der man nicht reden kann?«
Pakulla sah fragend in die Runde und erhielt keine Antworten.
»Man geht in Bars, in denen es so laut ist, dass man sich nicht unterhalten muss. Und deshalb war ich mit Sebastian in einer solchen Bar in Palmas Altstadt, in der wir zufällig Kirsten kennenlernten. – Sie sehen sie selbst: Sie ist eine wunderschöne Frau, und ich denke, es gibt keinen Mann, der sie nicht begehrenswert findet. – Endlich gab es etwas, was Basti und mich gemeinsam interessierte: Das war Kirsten. Und es war natürlich ein Glück, als sich herausstellte, dass sie Deutsche ist. Wir kamen ins Gespräch, so gut dies bei der Lautstärke in der Bar möglich war, und Basti kehrte den Künstler heraus. Er redete in einem Maße, wie ich es von ihm nicht kannte. Er zog Kirsten förmlich mit Blicken aus, erzählte von Ausstellungen, die er im Leben nicht besucht und noch weniger mit eigenen Bildern bestückt hatte. Basti wuchs zu einer internationalen Größe heran. Er war scharf auf diese Frau, vom ersten Augenblick an. Und als Kirsten sagte, dass sie Immobilienmaklerin sei, fiel er sofort in dieses Thema ein und log, dass er vornehmlich mallorquinische Stadtbilder male und somit natürlich insbesondere Motive aus der Innenstadt von Palma
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