Todeserklärung
zwischen den Menschen nur um Strukturfragen. Auch zwischen uns, Herr Knobel.«
»Sie haben Basti umgebracht«, folgerte Knobel.
»Sehen Sie! Das ist das, was Sie die ganze Zeit vermuten. Sie oder Sie, verehrte Frau Schwarz. Solange ich Ihr Mandant bin, vermuten Sie Schlechtes hinter mir. Eigentlich bin ich Ihr Gegner, stimmts? – Herr Knobel, ich glaube, Sie wären vorhin überraschter gewesen, wenn Sie hier auf Basti getroffen wären. Dass Sie mich getroffen haben, passte viel besser ins Bild. Sie waren auch von allen am wenigsten überrascht. Aber Sie sollten meinen Fall lösen, nicht ich selber!«
Pakulla lächelte maliziös. »Aber Kirsten und ich sind keine Unmenschen, wir machen Ihre Arbeit! Trotz des Feiertags! Und trotz des saftigen Honorars, das ich an Sie gezahlt habe! Und zusätzlich gibts guten Rotwein.«
Gregor Pakulla schenkte nach, Frau Praetorius schickte sich an, die dritte Flasche zu öffnen.
»Wie gefällt Ihnen der Rioja , ich mag diesen Abgang, die schlichte Eleganz.«
»Ein bisschen wie Grand Cru «, gab Knobel zurück.
»Sie sind ein Weinkenner, Herr Knobel, kein Maler wie mein Bruder«, stellte Pakulla fest. »Das ist lobenswert! Irgendwann fährt das Leben auf die entscheidenden Weichen zu, man muss sie nur selber stellen! – Also weiter: Was soll ich sagen, Herr Knobel? Mein Bruder hat diese Situation nicht verkraftet. Er konnte die Qual nicht ertragen, dass Kirsten, seine Kirsten, die Frau, der er sich als Künstler angedient hatte, der er alles Schöne dieser Welt bereiten wollte, sich bereits dem Gregor zugewandt hatte, jenem viel kleineren Nichtbruder, der sich ganz offen für Kirstens Geschäftsideen begeistern konnte, sie verstand und mit ihr wichtige Lebensprinzipien teilte.
Sebastian muss sich lächerlich vorgekommen sein mit seinen Gedichten. Bestimmt hat er sich vorgestellt, wie Kirsten sie mir amüsiert vorgelesen hat (was sie aber nicht getan hat). Sie hätten ihn sehen sollen, wie er dastand, der große Kerl, getroffen bis ins Mark um seine Liebe betrogen, eine Liebe, die er in Wirklichkeit nie erobert hatte. Er hat von Anfang an nicht begriffen, dass seine ganze Gefühlsduselei bei Kirsten verfehlt war. Kirsten hätte er sich in gewisser Weise erarbeiten müssen. Das ist eine Struktur, die ihm fremd ist. Daran ist er gescheitert!
Und als er das erkannt hatte – sein Auftritt hier dauerte etwa zwei Stunden – hat er irgendwann einen Schnitt gezogen und gesagt: Ich werde jetzt gehen. Ihr werdet mich nie wiedersehen . Und dann ging er. Wir haben ihn nie wiedergesehen.«
»Warum haben Sie ihn nicht gesucht?«, fragte Knobel.
»Diese Frage sollten Sie selbst beantworten können, Herr Rechtsanwalt. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder hat er sich umgebracht oder er ist irgendwo untergetaucht. Sein Verschwinden seit seinem Besuch hier bei Kirsten spricht indes dafür, dass er sich umgebracht hat. Wo auch immer. Vielleicht im Tramuntanagebirge, in dem er sich einigermaßen gut auskannte, vielleicht auch woanders. Sollte er einmal gefunden werden, sehen wir weiter. – Was sollten wir tun? Zur Polizei gehen? Theatralische Abschiedsworte Sebastians wiedergeben, die eine Dreiecksgeschichte offenbart hätten? Sollten wir der Polizei über eine im Raum stehende Erbschaft von einer vermögenden Tante berichten? Sie wissen doch selbst: All das sieht eher nach einem Mordmotiv für mich aus. Ich hätte meinen Bruder vor Esthers Ableben beerbt und hätte somit Esther allein beerben können. Wunderbar. Wirtschaftlich, das brauche ich Ihnen nicht zu sagen, in der Tat die beste Variante. – Aber was kann ich aus dem vermutlichen Selbstmord Sebastians machen? Was wird die Polizei denken? – Soll ich diese Geschichte der mallorquinischen Polizei erzählen – oder der deutschen Polizei zu Hause? Die Antwort: Niemals!
Basti war in seinem letzten Akt klug! Er hat sein Leben beendet, weil er als verkrachte Existenz nicht mehr weiterkam. Ich glaube nicht, dass er die vermeintliche Romantik in der Adlerstraße wirklich geliebt hat. Er hat in den Tag hineingelebt, wie immer ohne Perspektive. Dann trifft er Kirsten, seine große Liebe – und scheitert! – Sebastian, der im Leben noch nie geliebt hat, findet im Alter von 38 seine Liebe und scheitert. Er hatte keine Perspektive, Herr Knobel, das steht fest. Also Selbstmord. Ein Selbstmord allerdings, der mir ein klares Mordmotiv gibt. Ich kann ihn nicht beerben, Herr Knobel! Jedenfalls jetzt nicht. Er ist verschollen, Herr Knobel. Das ist
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