Todesfalter
ganzen Weile fügte die junge Imhoff hinzu: »In diesem Fall scheint mir der Mann glaubwürdig. Er wollte zuerst nichts Schlechtes über die Frau sagen, hat aber dann die Wahrheit zugegeben.«
Maria wandte sich nicht um, ihre Schultern bebten. »Das glaube ich auch.« Sie dachte an Carlo und daran, dass sie ihm nie wieder würde in die Augen schauen können, nachdem sie Zeugin seiner Niederlage geworden war. Wenn er wüsste, dass sie in diesem schweren Moment dabei gewesen war, er würde sie hassen, da war sie sich sicher. Sie hatte ihn nicht sehen können, aber sie hatte seine Scham gespürt. Ach, sie wünschte, sie wäre nie dort gewesen.
»Also, mein Papa sagt«, verkündete Bärbel frohgemut, »dass manche noch nach dem dritten Durchgang lügen. Immer wieder fällt ihnen was Neues ein, und man weiß nie …« Sie wurde leiser, als sie die düsteren Blicke der anderen sah. Kleinlaut fügte sie hinzu: »… sagt jedenfalls mein Papa. Mal sehen, was die anderen im Rat dazu meinen.«
»Er bleibt vorerst in Haft?«, erkundigte Clara sich.
Bärbel nickte. »Klar!«, sagte sie. »Au! He!« Sie rieb sich den Arm an der Stelle, an der Susanna sie mit ihrer Sticknadel gepikst hatte. »Was habt ihr denn alle mit diesem Italiener?«
Dorothea wandte sich mit Schwung an Magdalena. »Und du? Was hast du gestern herausbekommen?«
»Ich?« Magdalena sah aus wie eine eben aus ihren Träumen gerissene Schlafwandlerin. »Also ich, ich … Ich bin noch nicht dazu gekommen. Der Diakon war da, und dann musste meine Mama ins Geschäft, und dann …«
Ihre Gefährtinnen stöhnten demonstrativ. »Ich laufe bis Johannis, Mensch!« Dorothea zeigte die Sohlen ihrer kleinen Lederstiefel. »Und du kannst nicht mal deine Mama fragen?«
»Jedenfalls weiß ich jetzt, wo Beata von uns aus hinging«, warf Magdalena rasch ein.
»Ja? Und?«
»Sei doch nicht so, Dorothea.« Maria legte der Freundin die Hand auf den Arm. Sie war froh, dass die allgemeine Aufmerksamkeit sich wieder von ihr abgewandt hatte. Nun schaute sie Magdalena an. »Wohin also, Mädchen?«
»Zum Hoffmann.«
18
»Zu Johann Hoffmann, dem Verleger?«, erkundigte sich Maria Sibylla sicherheitshalber. Sie dachte, was ihre Freundin Dorothea Auer laut aussprach: »Zum übelsten Nachdrucker der ganzen Stadt?«
»Zu dem, der die schönen Kalender macht?«, fragte Barbara fast zur selben Zeit und durfte sich dafür viel Schelte anhören. Hoffmanns Traum- und Zuckerbäckerkalender hatten in der Tat viele Liebhaberinnen. Aber auch seine Bilderbögen zu Naturereignissen wie dem Großen Kometen sowie seine Karten trugen zu seinem Ruf bei – in direkter Konkurrenz zum Hause Fürst.
»Papa arbeitet jedenfalls nicht mit ihm, eben weil er sich so viele Arbeiten anderer aneignet«, stellte Dorothea fest.
Maria Sibylla schwieg lange. »Mein Mann hat mit ihm zu tun«, sagte sie dann. Sie gab es ungern zu, aber was würde es helfen zu schweigen? Die anderen wussten ja nichts von dem Unterrock, sie wussten – so Gott ihr gnädig war – nichts von Andreas’ Neigungen. Und Gott sei Dank auch nichts von ihren eigenen.
Mit einem Mal fand sie dringend etwas an den Schlüsselblumen zu verbessern, die auf der sich blähenden, widerspenstigen, viel zu großen Leinwand vor ihr entstanden. Sie zog und zerrte an dem Stoff und wurde doch nicht mit ihm fertig. Ein blumenbemaltes Zelt hatte die Markgräfin von Baden-Baden bei ihr bestellt. Für ihren Mann. Was zum Teufel, dachte Maria Sibylla, sollte ein Mann mit dem Spitznamen »Türkenlouis« mit einem Blumenzelt beginnen? Mit rotem Gesicht saß sie schließlich da und starrte auf ein paar ganz unglücklich gesetzte Striche.
»Ich kann da nicht hingehen diesmal«, meinte Dorothea und warf ihr Haar zurück.
Clara, die bisher gar nichts gesagt, sondern nur ruhig die Nadel weitergeführt hatte, meinte, ohne den Kopf zu heben: »Dort sollte niemand von uns hingehen. – Nein, im Ernst«, fügte sie hinzu, als Protest aufkam, und schaute die anderen an. »Der Hoffmann hat die Aufnahme in den Rat beantragt.«
»Was?«, erklang es in der Runde. – »Der?« – »Da gäbe es aber ganz andere!«
Clara dagegen blieb ruhig. »Ich weiß von meinem Vater, dass der Antrag sehr wohlwollend erwogen wird. Ehrlich, Maria«, wandte sie sich an die Freundin, »in Johannis betrunkene Hebammen anzusprechen ist eine Sache. Aber dem Verleger Hoffmann sollten wir keine unbequemen Fragen stellen.« Sie schaute Maria Sibylla direkt an. »Er hat viele gute Freunde,
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