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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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den angerunzelten Äpfeln.
    Heute war noch ein anderer Stand auf dem Markt; er bot Waren feil, die nicht für Menschen wie Maria gedacht waren, für sie allenfalls zum Staunen. Nur die Mägde der großen Häuser kauften hier ein; es war eine besondere Gelegenheit.
    Da gab es getrocknete Datteln und Feigen, Zitrusfrüchte, schon ein wenig ledrig und fest, aber sie verströmten ein wunderbares Aroma. Die großen Patrizischen Handelshäuser hatten dergleichen in ihren Speichern. Auch die Imhoffs handelten damit, über Venedig, wo sie im Fondaco dei Tedeschi ansässig waren; Clara hatte Maria mal einen Blick in einen der Speicher werfen lassen. Nie würde Maria den Duft nach Muskateller und Orangen, nach süßen Korinthen, Zimt und Zitronen wieder vergessen.
    Der Händler hatte eine Zitrone aufgeschnitten, ihr Duft legte sich über den ganzen Markt. Unscheinbare Früchte gab es – wenn man nur flüchtig hinsah, konnte man sie für Kartoffeln halten, doch Maria wusste, dass es Granatäpfel waren. Und als Krönung, in einem eigenen Korb, fest von gutem Stroh umgeben, thronte die Königin, groß, stachelig, fremdartig: eine Ananas. Maria Sibylla hatte ihr Abbild schon viele Male gesehen. Ihr Geschmack wurde in Marias Büchern als ebenso süßlich wie säuerlich beschrieben. Saftig sei sie, hieß es dort, wie keine Frucht sonst und werde zu vielerlei Heilzwecken von den Bewohnern der tropischen Länder eingesetzt. Solch eine Frucht einmal mit eigenen Händen ernten! Den Busch sehen, an dem sie wächst, die Tiere beobachten, die darauf leben. All das festhalten mit den wunderbaren Farben, in denen die Natur es selbst gemalt hat.
    In Maria Sibylla keimte ein wilder Plan.
    Sie fragte den Händler nach dem Preis der Ananas. Halb in Furcht, halb in prickelnder Abenteuerlust umklammerte sie ihren Geldbeutel, bereit, alles darin zu geben: das Geld, das sie dem Wirt schuldeten, eine verrückt hohe, eine ruinöse Summe. Sie wollte die Frucht Carlo bringen, seinen Kerker mit ihrem Duft füllen, den Gefangenen damit verwandeln. Und ihm eines versprechen: Wenn eine Frau dich falsch beschuldigen kann, kann eine andere mit einer falschen Aussage dich retten. Ich werde behaupten, mit dir zusammen gewesen zu sein, die ganze Nacht, wenn es nötig ist. Und ehe die Büttel mich greifen wegen Ehebruchs, werden wir gemeinsam fliehen. Erst nach Frankfurt zu meiner Familie, von dort in die Niederlande und von dort aus überall hin. Am liebsten in die Neue Welt. Nur du und ich.
    Sie sah sich schon am Gitter stehen und ihm die Botschaft durch die Stäbe zuhauchen. Sie sah sich einen Brief schreiben, mit hastiger Feder die Botschaft hinkritzeln, die ihr bisheriges Leben von Grund auf verändern würde. Sah sich ihr schlafendes Kind auf die Stirn küssen, das Reisebündel schon in der Hand, oder nein, sie würde Lenchen mitnehmen, den traumwarmen Körper an sich reißen, mit der Kleinen auf dem Arm fliehen, den ganzen Weg. Carlo würde sie beide an der nächsten Poststation treffen.
    Der Händler nannte den Preis. Er wandte sich ihr zu, um ihr Gesicht zu sehen, die Hände in die fetten Hüften gestemmt, nicht unfreundlich, aber in herablassender Gewissheit. Ihr Kleid war vornehm, teuer aber war es nicht, der Stoff gut, jedoch abgetragen und der Spitzenkragen weder breit noch modisch. Sie trug keine Steine an der dünnen Goldkette um ihren Hals und keine Broschen. Und sie war alleine hier. Er kannte seine Kundschaft und wusste die Zeichen zu deuten.
    »Oh«, hauchte Maria und ließ ihre Börse zurück in die Tasche gleiten. Es war nicht genug darin; es würde nie genug sein. »Danke«, brachte sie mit Mühe hervor und schaffte es gerade, sich von dem Stand zurückzuziehen, ohne zu stolpern oder sich sonst wie zu blamieren. Der Händler wischte sich die Hände an einem Tuch ab und wandte sich einer Magd aus gutem Hause zu, die nach Rosinen aus Italien fragte.
    Eine Weile später stand sie vor dem Loch, drei Äpfel in der Hand und ein Brot, um es dem Stuckmeister aus Italien zu bringen, dazu ihre brennende Botschaft im Herzen. Ihr waren die Hände nicht gebunden, sagte sie sich. Sie war in der Lage, alles zu tun.
    Der Lochwirt griff sich eine ihrer Früchte und biss krachend hinein, ehe Maria protestieren konnte. »Der Italiener ist nicht zu sprechen«, sagte er kauend. »Aber ich bring ihm das hier, wenn Ihr ein paar Münzen drauflegt.«
    Maria starrte in sein rohes Gesicht und brachte nicht eines der Worte über die Lippen, die zu sagen sie gekommen

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