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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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war.

20
    Lange saß die Malerin auf der Mauer ihres Gärtleins unterhalb der Burg, ohne zu ahnen, dass es just dieselbe Stelle war, an der die Nachbarin vor wenigen Tagen noch ihren Andreas mit einer anderen beobachtet hatte. Es war ein sonniges, bemoostes Stück Sandstein, hinter dem sich Blumen und Gemüse friedlich die schmalen Reihen teilten. Maria zerbröselte zerstreut das Brot und warf einer wachsenden Schar von Vögeln die Krumen hin, ohne ihnen einen Blick zu gönnen. Kreischend schlugen Spatzen und Tauben sich um die Brocken, auch ein paar Finken waren dabei und ein Eichelhäher, dem die anderen vorsichtig, aber nie lange auswichen.
    Maria kämpfte mit sich. Sie, die es eben noch für gar nicht absurd gehalten hatte, für einen fremden Mann einen Meineid zu schwören und mit ihm bis ans Ende der Welt zu flüchten, sie brachte es jetzt nicht mehr über sich, einen Brief an den Rat zu senden. Sie war erschöpft von ihrer Sünde in Gedanken und ernüchtert von ihrem Versagen vor der Realität. Sie fühlte sich unendlich müde. Sich wegwerfen für einen Mann, auf Abenteuerfahrt gehen? Märchen, die die Herzen unreifer Mädchen höherschlagen lassen. Wie hatte all dies sie noch eben so wild bewegen können?
    Aber nun war es ja vorbei. Sie sollte nach Hause gehen und weiterarbeiten, Stickvorlagen für die Jungfern schaffen. Wenn der Haushalt gemacht und die Kinder versorgt waren, dann musste gestickt werden, bis die Finger steif wurden, damit die Frauen nicht auf dumme Gedanken kamen durch Müßiggang. All die Blüten und Bordüren, die Kissen und Servietten, die Säume und Verzierungen: eingefangene weibliche Energie, zu Sinnlosigkeit geronnenes weibliches Leben.
    Sie hatte immerhin ihre Insekten.
    Maria war bereit, von der Mauer herunterzurutschen und das Joch wieder auf sich zu nehmen, als ein Schatten über sie fiel.
    »So müßig am hellen Tage, Gräffin?«, fragte der Diakon. Er schaute sie mit gerunzelter Stirn an, wie sie da hockte, mit baumelnden Beinen wie ein Kind. »Sind die Vögel auch ein Gegenstand Eurer Forschungen?«
    Sie errötete leicht, sprang mit einem Hops auf die Füße und zog ihr Kleid zurecht. »Ich sehe Gottes Schöpfung in ihnen«, sagte sie. »Mit Demut und Bewunderung. So gesehen bete ich.«
    Er verzog den Mund. »Euch täte ein wenig mehr Beten in der Kirche besser, und weniger Philosophiererei. Mit dem Denken lobt man Gott nicht und kommt ihm auch nicht nahe. Mit dem Glauben allein nähert man sich dem Herrn. In Demut, Gräffin, wie Ihr sagt. Mit gebeugtem Rücken und der Bitte um Gnade.«
    »Dann will ich das jetzt tun.« Sie versuchte das Gespräch abzukürzen und wollte sich an ihm vorbeidrücken. Plötzlich fühlte sie sich gepackt.
    Mit seiner kräftigen Pranke, seiner Bauernhand, die ihren Arm mühelos umspannte, hielt er sie fest. »Versündigt Euch nicht, Gräffin. Zeigt Respekt.« Seine Stimme war leise.
    »Wem gegenüber, Herr Heuchlin – oder sollte ich sagen: Philander Rittersporn?« Sie spielte auf seine literarische Eitelkeit an, indem sie seinen Künstlernamen bei den Pegnitzschäfern nannte. »Dem Herrgott oder Euch?«
    Er bleckte die Zähne, und sie roch für einen Moment seinen kranken, müden Atem. Dann ließ er sie los.
    Maria blieb aufrecht stehen und blinzelte. Mehrfach streifte sie sich über den Rock, ganz mechanisch und bemüht, ihre Fassung wiederzuerlangen. Es dauerte eine Weile, bis sie begriff, dass es tatsächlich ihr Name war, der über die Gasse klang.

21
    »Frau Gräffin, Frau Gräffin.« Mit hochrotem Gesicht keuchte Anna heran. »Frau Gräffin, ein Amtsdiener war da. Und er sagt, Ihr sollt zum Lochschöffen kommen, ohne Verzug. Er will mit Euch reden, sagt er.«
    »Pscht, Anna, ist ja gut.« Erschrocken zog Maria Sibylla die alte Magd an sich heran. »Wann ist das gewesen?«
    Die Alte schaute sie mit schreckgeweiteten Augen an. »Noch keine halbe Stunde her. Ich hart eben das Reisig für den Ofen gebündelt. Und die Suppe kocht noch nicht.«
    Maria ließ sie los und strich ihr über den Arm. »Ist ja gut«, sagte sie, so ruhig sie konnte. »Es wird nur wegen der Toten sein, die ich gefunden hab.«
    »So ein schlechtes Omen auch«, jammerte Anna, die hinter ihr herlief, als Maria sich in Bewegung setzte. »So ein Unglück zu all dem anderen. Das hätt riet sein müssen. Ach, ach.« In ihrem Kummer bekreuzigte sich die Alte wieder und wieder. Der ganze Milchmarkt war leer. Bis hinüber zum Dürerhaus: keine Magd, kein Kind, kein offenes Fenster

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