Todesfalter
banal und abstoßend sah das Gemälde aus. Mit einem Mal schob sich ein Lebensbereich in ihr Blickfeld wie eine Landschaft plötzlich aus dem Nebel auftaucht, die man vorher nicht vermutet hat. Man wähnt sich auf bekannten Wegen und muss doch erkennen, dass man in der Fremde wandert. Vielleicht sogar am Abgrund entlang.
Maria stand einfach nur da und horchte in sich hinein. Erstaunt stellte sie fest, dass es kein bisschen weh tat. Sie war beleidigt, das ja. Aber getroffen? Nein! Sie fühlte nichts dergleichen. Es war vorbei.
Sie warf ihrem Mann einen knappen Abschiedsgruß zu, der es seinerseits bei einem Winken bewenden ließ. Sein Gefährte pfiff vor sich hin und schaute in den Himmel, als sähe er schon die fernen Horizonte. Als die beiden in Richtung Tiergärtnertor verschwanden, drehte sie sich auf dem Absatz um und ging ins Haus.
Maria setzte sich vor ihren Teller und überließ es einer konsternierten Anna, die Suppe auszugeben. Sie aß, erst langsam, dann mit immer besserem Appetit. Als die Gesellen herbeikamen, grüßte sie freundlich, ignorierte aber die neugierigen Seitenblicke und kam auf die anstehende Arbeit zu sprechen. Es gab viel zu tun, aber es war keineswegs unmöglich, alles zu schaffen. Das Aquarell, nach dem die Stadtansicht gestochen werden sollte, war bereits fertig, und der ältere Geselle saß schon über der Arbeit. Sie würde ihm vertrauen können. Ansonsten standen nur noch ein paar Stillleben aus, die von Frankfurt her bestellt worden waren. Da beschloss Maria Sibylla, dass es endlich an der Zeit war, die Stiche für ihr geplantes Buch anzufertigen. Sie hatte vor, sie alle selber auf das Kupfer zu bringen. In der Werkstatt war ja nun ein Platz frei geworden, und weder Andreas’ Unausgeglichenheit noch seine Unordnung würde sie künftig stören. Sie begann, mit den beiden Männern die Arbeitspläne festzulegen, holte Feder und Papier, schob den Teller beiseite und erstellte eine Liste der Dinge, die sie kaufen mussten. Farben fehlten, die würde sie selbst herstellen. Ihre Jungfern-Companie konnte ihr dabei helfen. Langsam kam wieder Leben in Maria Sibylla.
Als sie Anna half, die Teller wegzuräumen, dachte sie, dass es einen Grund dafür gegeben haben musste, warum sie gerade diesen Mann geheiratet hatte, der so schwach und unzuverlässig war. Nächtelang hatte sie wach gelegen an seiner Seite und sich dafür angeklagt, dass sie auf die paar Zärtlichkeiten hereingefallen war, auf die kindliche Art, das Hilflose in ihm. Jetzt sprach eine neue, unerbittliche Stimme in ihr: Du hast sein Werben zugelassen, sagte sie, weil du gespürt hast, dass er dir nicht im Weg sein würde. Dass er weder deine Leidenschaften binden würde noch dein Interesse. Und dass er nie das Format haben würde, sich dir mit Macht in den Weg zu stellen. Ja, selbst wenn Andreas da war, war er so gut wie nicht vorhanden. Oft hatte sie darüber gejammert. Andererseits hatte sie frei über ihre Zeit verfügen können. Sie hatte all ihre Kräfte für sich gehabt.
Gut, das zu wissen, dachte Maria. Nicht länger nötig, sich zu schämen angesichts der Wahrheit. Da die Dinge nun einmal so lagen, wie sie lagen, musste sie sich nur noch damit abfinden, nie so geliebt worden zu sein, wie sie gedacht hatte.
32
Vier Tage später kamen die Mädchen ihrer Companie wie auf Verabredung alle wieder zu ihr: Clara mit ihrem gewohnt ruhigen Lächeln, Dorothea mit fröhlichem Trotz, Susanna wie immer stark mit sich selbst beschäftigt und hoch zufrieden mit der eigenen Person, Barbara vorsichtig, aber mit einem entschlossenen Leuchten in den Augen. Keine verlor auch nur ein Wort über das jüngst Gewesene, aber Maria Sibylla verstand gut genug, dass sie alle ihren Kampf ausgefochten und gewonnen hatten. Weil jede für sich beschlossen hatte, keine Angst mehr zu haben. Nur Magdalena war nicht dabei.
Maria spannte die Mädchen dafür ein, ihr die ersten Stiche für ihr geplantes Blumenbuch auszumalen. Es sollte in drei Ausgaben erscheinen: koloriert, halb koloriert oder als schwarz-weißer Druck, je nach Geldbeutel des potenziellen Käufers. Aufs Kupfer brachte sie alles selbst, aber beim Malen konnte sie Hilfe brauchen. Auf die andere Aufgabe, die sie keineswegs aus den Augen verloren hatte, wollte sie ihre Jungfern erst langsam vorbereiten. Es war keine Kleinigkeit, diesen braven Bürgerskindern die Jagd auf einen Geistlichen schmackhaft zu machen.
»Vorsicht, Dorothea, komm bei der Kirsche nicht über den Rand.«
Die junge
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