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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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wurde beiseite gedrückt von einer energischen Magd, die Maria Sibylla bereits aus dem Haus der Witwe Fürst kannte. »Verehrte Gräffin«, grüßte diese und deutete einen Knicks an.
    Maria nickte ihr zu und ließ erstaunt den Pinsel sinken.
    »Ich soll fragen, ob das Fräulein hier ist, die Magdalena.«
    »Moment«, begann Maria. »Hat die Fürstin nicht dafür gesorgt, dass Magdalena den Unterricht nicht mehr besucht? Sie war schon seit Tagen nicht mehr bei mir, ich nahm an …«
    Die Magd schaute unglücklich aus. »Himmel, wenn wir nur wüssten …« Sie rang die Hände. »Wir haben einfach gehofft, sie wär da. Aber …«
    Die Mädchen schauten einander an.
    »Sie fehlt schon seit dem frühen Morgen und hat keinem was gesagt.«
    Maria fröstelte unwillkürlich. Sie zog die Schultern hoch und wickelte ihr Tuch enger um sich. »Wisst ihr denn nicht, was für ein Tag heute ist?«, fragte sie.
    Die Mädchen sahen ebenso verständnislos drein wie die junge Magd.
    »Heute ist die Hinrichtung«, sagte Maria. »Die Hebamme, versteht ihr nicht? Wieder wird eine Seele in den Himmel gehen.«
    Die Magd bekreuzigte sich.
    Clara wurde blass. Sie vermochte nur zu flüstern: »Und diese arme Seele wird Begleitung brauchen.«
    Dorothea war schon auf den Beinen.
    Maria Sibylla aber war schneller. »Ihr bleibt«, bestimmte sie. »Ich erledige das allein.« Damit nahm sie die Magd am Arm und zog sie mit sich hinaus. »Sag deiner Herrin, dass ich hoffe, ihr das Mädchen in der nächsten Stunde zu bringen. So oder so werde ich vorbeikommen. Ich muss mit ihr reden.« Damit machte sie sich auf den Weg.
    Im Ohr hatte sie Magdalenas Stimme: Ich bin auch so ein Todesfalter. Ja, sie hatte eine klare Vorstellung davon, wo sie das Mädchen würde finden können.

33
    Schon am Königstor herrschte heftiges Gedränge, das sich erst auf dem Weg zwischen den Hügeln ein wenig lichtete. Trotzdem war heute hier draußen mehr los als an den üblichen Waschtagen in der »Wäsch«, die zu Marias Linker lag, nicht weit vom Rabenstein entfernt. Das gemauerte Podest mit dem Bildstock, vor dem die Verurteilten beten und bereuen durften, stand gut sichtbar auf einer Erhebung gegenüber dem kleinen Wald aus Galgen und Rädern, der Nürnberg als Richtstätte diente. An einem der hölzernen Konstrukte würde heute Beatas Mutter hängen.
    Maria Sibylla drängte sich durch die Schaulustigen. Viel Abschaum war gekommen, der kaum andere Vergnügungen hatte und das Zuschauen beim Todeskampf als billigen Genuss schätzte. Aber auch so manch bekanntes Gesicht war dabei: ehrbare Nürnberger Bürger, gekommen, um den Vollzug der Gerechtigkeit zu bestaunen, die ihr Rat beschlossen hatte. Man fand nichts Ehrenrühriges daran. Maria bemerkte vorne, dicht beim Henker und seinen Knechten, den Lochschöffen Nützel, der das zweifelhafte Vergnügen hatte, in seiner kurzen Amtszeit gleich zwei Morde untersuchen zu dürfen. Die Behaimin war da, in Begleitung einiger Verwandter. Maria sah auch Claras Vater, der wohl zu den Richtern gehört hatte, und noch so manch anderen Großen der Stadt.
    Die Gebhardin entdeckte sie zuletzt. Ein kleines, zusammengesunkenes Bündel Mensch war sie geworden, wie sie da auf dem Karren hockte, der bald unter ihr weggefahren würde. Die Zeremonie war bereits vollzogen, der Richtspruch noch einmal bestätigt worden, der Strick lag schon um den Hals der Hebamme, die ein Gesicht zog wie jemand, der nicht recht weiß, wie ihm geschieht. Dabei liefen ihr pausenlos die Tränen über die Wangen. Es war, als hätte ihr Körper verstanden, was ihr Geist nie würde zu fassen vermögen: dass es vorbei war.
    In der Menge ringsum hörte Maria es murmeln, Beatas Mutter habe sich als Henkersmahlzeit einen Extrakrug Schnaps gewünscht. Aber nicht mal der hatte das Weinen zurückhalten können oder die Angst in ihr gedämpft. Wer weiß, vielleicht hatte er wie bei manchem Säufer das Selbstmitleid nur noch verstärkt. Maria wünschte der Frau, dass sie nur eine unklare Vorstellung von dem haben möge, was als Nächstes geschähe. Sie versuchte, an das tote Neugeborene zu denken, an dessen Mutter und Verwandte. Am liebsten hätte sie die Augen vor all dem verschlossen.
    Aber sie war hier, um nach jemandem Ausschau zu halten, auch wenn das in dem Gedränge fast hoffnungslos erschien. Als der Karren, von Ochsen gezogen, anfuhr und der Henker die Verurteilte ins Bodenlose stieß, als das Seil sich straffte und die Füße in der Luft zu rudern begannen auf der

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