Todesfalter
Malerin biss sich auf die Zungenspitze, die sie immer bei kniffligen Arbeiten zwischen den Zähnen stecken hatte. »So ein Jammer«, klagte sie.
Die anderen unterhielten sich über das schöne Rot. Maria stellte ihre Farben selbst her, aus Pflanzen und Früchten. »Und sie leuchten ebenso wie das neue spanische Rot«, staunte Clara. »Ich habe einige Ellen Stoff bekommen, der damit gefärbt ist. So satt und dunkel.« Sie geriet ins Schwärmen.
»Woraus es wohl gemacht ist?«, fragte Susanna. Sie war ein wenig neidisch, denn solch eine Kostbarkeit konnten nur Patriziertöchter sich leisten. Die Spanier brachten den Farbgrundstoff in Fässern aus der Neuen Welt mit, er war selten und kostbar und seine Herstellung ein wohlgehütetes Geheimnis.
Maria Sibylla blieb gelassen. »Das alte Rot, mit dem deine Familie gehandelt hat, Clara, wurde aus Läusen gewonnen. Ich nehme an, mit dem neuen wird es nicht anders sein.«
»Iiiiiiih«, kreischten die Mädchen.
Maria lachte. »Wusstet ihr das nicht? Es ist das gleiche Rot, das im Rouge und in der Schminke steckt. Ihr bemalt euch die Gesichter mit Läuseblut.«
Die Mädels wollten es nicht glauben. »Aber es heißt doch, das Rot stammt von der Eichenbeere.« Clara dachte an ihren schönen roten Festtagsrock und verzog unglücklich das Gesicht.
»So nannten die alten Griechen es, ja«, bestätigte Maria. »Es klingt viel besser als Eichenschildlaus, oder?«
»Farben und Läuse«, warf Dorothea endlich ein. »Möchte sich hier eigentlich keiner mehr über den Mord unterhalten? Wir haben immerhin noch ein Mädchen, dessen Tod ungesühnt ist.« Sie gab der Kirsche den letzten Pinselstrich und legte prüfend den Kopf schräg.
Alle verstummten.
Nur Maria lächelte. Endlich waren die Mädchen da, wo sie sie haben wollte, ganz ohne dass sie selbst etwas dazu hätte tun müssen. »Ja, nicht wahr?«, meinte sie nebenher. »So wie man sich daran gewöhnt, sich mit Läuseblut zu schminken, so kann man auch mit dem Bösen unter einem Dach leben.« Sie machte eine Pause. Es würde nicht leicht sein, die Mädchen, gute Christinnen allesamt, für ihren Verdacht zu erwärmen. Wenn es ihr nicht einmal bei ihnen gelang, dann würde sie nirgendwo Erfolg haben. Sie brauchte ihre Unterstützung, wenn sie gegen Heuchlin würde vorgehen wollen, ehe noch ein weiteres Unglück geschah. »Man nimmt das eine wie das andere als selbstverständlich hin, wenn man es nicht zu genau weiß.«
»Man sollte es aber wissen wollen.« Das war Bärbel.
»Aber die Spur zu Hoffmann war doch ein Griff in die Kloake«, warf Susanna ein und grinste Clara zu, die empört die Stirn runzelte.
»Ja, wir haben nichts in der Hand, wo wir anknüpfen könnten«, gab selbst Dorothea zu. »Allenfalls der schlimme Mensch, mit dem die Gebhardin zusammen war. Aber sonst …«
Maria musste das ungute Gefühl unterdrücken, das die Erinnerung an Andreas und seinen Kumpan in ihr auslöste. Die beiden Männer, die mit Beata einmal eng zu tun hatten und sich gegenseitig ein Alibi für die Mordnacht gaben, hatten sich gemeinsam auf und davon gemacht. Und wieweit konnte man der Aussage des Wirtes schon trauen, dem sie Geld schuldeten? Dann aber verfolgte sie weiter ihren Plan. »Hat der Diakon Heuchlin eigentlich kein Weib?«, fragte sie betont beiläufig.
»Wie kommst du darauf?«, gab Dorothea zurück. »Natürlich. Er ist schon verheiratet hergekommen. Eine reiche Witwe, sagt man, viel älter als er selber.«
»Und sie soll kränklich sein«, fügte Clara hinzu. »Dr. Volkamer geht bei ihnen aus und ein, ohne rechten Erfolg allerdings, soweit ich es mitbekomme. Manchmal beschwert er sich, die Frau weigere sich förmlich, gesund zu werden. Klage nur und lege sich zu Bett und lasse sich gehen. Warum fragst du?«
»Nur so«, meinte Maria. Sie beschloss, fürs Erste zu verbergen, wie gut ihr diese Nachricht zupass kam. Auch dass sie von Dr. Volkamer Näheres über das Ehepaar erfahren könnte, war ein Glücksfall. Sie wollte Clara gerade fragen, ob der Doktor bei der für heute geplanten Besichtigung seiner Gärten persönlich anwesend sein werde. Vielleicht kannte er sich sogar mit Erkrankungen des Gemütes aus, denn genau das schien Heuchlin ihr zu sein: krank. Sie sollte sich doch einmal die Gedichte des Diakons ansehen, vielleicht fände sich da die Spur einer Krankheit – wie die Puppe, in der sich der Falter verbarg – und sie könnte sich ihr als Forscherin nähern …
Es klopfte an der Tür. Anna öffnete und
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