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Todesfalter

Todesfalter

Titel: Todesfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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an seinen Anblick.
    Aber wie sollte sie es anfangen, das dem Rat beizubringen? Wie konnte sie die Szene, die sie eben erlebt hatte, einem Nützel so schildern, dass dieser die richtigen Schlüsse daraus zog? Wie konnte sie etwas, das letztlich nur auf ihrem Gefühl beruhte, glaubhaft machen? Denn geschehen war im Grunde nichts, das musste sie sich eingestehen. Und doch hatte sich für Maria mit dieser Szene alles geändert. Sie durfte jetzt nichts überstürzen, sie musste sorgfältig darüber nachdenken, Indizien sammeln, etwas finden, was sich handfest gegen Heuchlin vorbringen ließe. Sie musste geduldig abwarten, bis der Verbrecher aus seiner Verpuppung schlüpfen würde.

31
    Als Maria schließlich nach Hause kam, fand sie Anna dabei, die Holzteller auf dem Tisch zu verteilen. Unwillkürlich zählte sie im Stillen mit: einen für Andreas, einen für sie selbst, einen für Lenchen, einen für Anna und je einen für die beiden Gesellen, die in der Werkstatt arbeiteten. »Da fehlt doch einer«, stellte sie fest.
    Anna warf ihr nur einen traurigen Blick zu.
    Was ist los?, wollte Maria schon fragen, da kamen Schritte die Treppe heruntergepoltert. Es war Andreas, in Stiefeln und Reisekleidung. Er trug lederne Satteltaschen über der Schulter und einen Sack.
    Maria war so überrascht von seinem Aufzug, dass ihr die Worte fehlten. Erst als er sich mit einem schuldbewussten Hundeblick schon an ihr vorbeigedrängt hatte, fiel es ihr ein zu fragen: »Wo willst du hin?«
    Statt seiner antwortete Anna. »Ins Rheinische, sagt er«, flüsterte sie Maria zu, die immer noch dastand und zusah, wie ihr Mann alles vor dem Haus auf der Bank deponierte und zurückkehrte, um noch mehr Gepäck zu holen. Lautstark stapfte er an ihr vorbei, die Treppe wieder hinauf. Herunter kam er mit einer Kiste, die Maria als Behältnis für seine Mal- und Stechersachen kannte.
    »Er sagt, er hat dort Arbeit.«
    »Arbeit?«, verwunderte Maria sich lautstark. »Ich denke, der Rat hat einen Stadtprospekt von dir akzeptiert, Andreas!« Jetzt sprach sie ihn direkt an. »Es wird hier in nächster Zeit viel zu tun geben.«
    Endlich blieb er stehen, vermied es aber, ihr in die Augen zu sehen. »Ich muss einmal hier raus, Mariechen.«
    »Ach.« Sie war zu wütend, um sofort weitersprechen zu können.
    »Ja. Dort sitzt eine Generalsfamilie, die von mir porträtiert werden will. Und eine Ansicht ihres Hauses soll ich stechen. Es liegt malerisch am Fluss, heißt es.«
    »Wie schön für dich«, erwiderte Maria bissig. »Und hat diese Familie auch einen Namen? Nur damit ich weiß, wo ich dich erreichen kann.« Oder damit ich weiß, ob es diese Familie überhaupt gibt, dachte sie.
    Auf dem Milchmarkt war das Klacken von Hufen zu hören. Ein Mann kam näher, der zwei Braune am Zügel führte. Andreas hob die Hand und grüßte ihn von Weitem. Als der Fremde näherkam, erkannte Maria in ihm den Betrunkenen aus dem Frohen Prediger wieder. Noch immer trug er dieselben vornehmen, aber heruntergekommenen Kleider, hatte noch immer ungewaschenes Haar, das in gepflegtem Zustand rot sein mochte. Doch heute sah sie sich sein Gesicht genauer an. Und erschrak. Er mochte ja der Sohn eines Professors sein, aber in seinen Zügen war weder Bildung noch Geist zu lesen. Und schon gar keine Spur von Gefühl. Seine schwarzen Augen starrten sie so kalt an wie Kiesel. Mit diesem Menschen wollte ihr Mann auf Reisen gehen?
    Es war, als hätte Andreas ihre Frage gehört. »Er hat einen Kummer«, sagte er wie zur Erklärung.
    Maria verzog das Gesicht. »Kummer, der?«
    »Er hatte ein Liebchen aus Johannis, das bald am Galgen hängt. ’s war heimlich. Er will es mit sich allein abmachen.«
    Maria Sibylla starrte den Neuankömmling an, der ohne sie zu grüßen begonnen hatte, das Gepäck auf Andreas’ Pferd zu laden. Das also war der Gefährte der Hebamme, dem Dorothea bei ihrem Besuch in Johannis begegnet war. Der Mann, der seine Geliebte beschimpft und verprügelt hatte. Offenbar hing er doch mehr an ihr, als man meinte, wenn seine Gefühle für die verurteilte Gebhardin ihn nun in die Ferne trieben. Wenn es denn Gefühle waren.
    Dann, mit einem Mal, begriff sie die Zusammenhänge. Sie schaute abwechselnd zu ihrem Andreas und zum Fremden: der eine mit der Mutter, der andere mit der Tochter. Zu viert waren sie durch die Kneipen gezogen, hatten gesoffen und gelacht. Mit solchen Menschen war ihr Mann unterwegs gewesen. Und sie hatte von alledem nichts geahnt.
    So also, durchfuhr es sie, so

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