Todesfalter
hin. Er kann mir sicher Auskunft über Heuchlin geben.«
»Ist ja gut, Maria«, versuchte Dorothea sie zu beruhigen. »Wir wissen, dass der Diakon dir und Lenchen übel mitgespielt hat. Und er ist ja wirklich ein Ekel.«
»Ekel?«, gab Maria aufgebracht zurück. »Ekel nennt ihr das? Der Mann ist gefährlich.«
Dorothea schüttelte den Kopf. »Das mit der Krähe war wirklich geschmacklos. Aber wir müssen einen klaren Kopf behalten.« Sie nickte den anderen zu und nahm dann Marias Hand. »Vielleicht ist es wirklich das Beste, du machst mal Pause. Ruf Anna, sie soll dir die Ausrüstung zusammensuchen, und schau dir in Ruhe die Falter in Volkamers Gärten an.«
»Aber Magdalena …«
Barbara fiel ihr ins Wort: »Hat dir die Fürstin nicht deutlich genug klargemacht, dass sie das Verschwinden ihrer Tochter nicht herumzutratschen wünscht?«
»Ich halte jedes weitere Warten für einen Wahnsinn«, stöhnte Maria.
»Und hast du uns nicht beigebracht, dass man warten können muss? Als Forscherin und als Künstlerin? Dass es auf den rechten Moment ankommt?«, setzte Barbara nach.
»Wir kümmern uns doch um alles.« Beruhigend legte Clara den Arm um Maria. »Dorothea geht sogar noch mal an die Hinrichtungsstätte.«
»Dir graut es wirklich vor nichts«, bemerkte Bärbel ehrfürchtig.
Clara tadelte sie ausnahmsweise nicht. »Mehr kann man jetzt nicht tun«, redete sie weiter auf ihre Lehrerin ein. »Vermutlich löst sich bald alles in Wohlgefallen auf.« Sie runzelte die Stirn. »Das muss es auch, sonst fürchte ich ernsthaft um Magdalenas guten Ruf.«
»Vielleicht geht es ja um viel mehr – vielleicht geht es um ihr Leben!«
»Ach, Maria, nicht doch. Wir kennen doch alle unsere Magdalena.«
»Ihr habt sie nicht gesehen, wie sie da stand und die Gehenkte …«
»Brrrr, erspar uns das!«, rief Susanna entsetzt. Und auch Dorothea hob abwehrend die Hände. »Genug geredet jetzt. Los, machen wir uns endlich auf den Weg.«
Clara gab Maria Sibylla den Auftrag, Dr. Volkamer von ihr zu grüßen. »Und genieß es«, riet sie der Freundin, »auch wenn es schwerfällt. Seine Gärten sind wirklich bemerkenswert. Vielleicht hast du ja Glück und entdeckst einen besonderen Falter dort.«
»Na ja.« Maria machte ein ungewisses Gesicht. Es widerstrebte ihr zuzugeben, dass bei aller Aufregung um Magdalena die Aussicht auf einen ungewöhnlichen Raupenfund sie nicht gleichgültig ließ. Zu andern Zeiten hätte sie ihr Leben für so eine Chance gegeben.
»Wart’s ab«, meinte Clara. »Mit Gottes Hilfe finden wir Magdalena, und du findest deinen Falter.«
Die Jungfern verabschiedeten sich von ihrer Lehrerin und strebten auf dem Milchmarkt auseinander, jede ihrem eigenen Ziel zu.
36
Mit gemischten Gefühlen machte Maria Sibylla sich auf den Weg, schwer vertieft in höchst widersprüchliche, sich kreuzende und überlagernde Gedanken: an Heuchlin, an Brasilien, an feuerfarbene exotische Falter, die verschwundene Magdalena, an Morettis Fresken, den Diakon, ihren Mann und nicht zuletzt die beiden toten Frauen, Mutter und Tochter. Nichts von alldem schien bloßer Zufall zu sein, doch passte es auch nicht zusammen. Die Fakten bildeten kein Muster. Man konnte sie nur weiter beobachten, wie einen Dattelkern, und sich wundern über das, was ausschlüpfte. Maria erinnerte sich daran, wie einmal aus der Puppe einer ihr bekannten Raupe statt eines Falters eine Handvoll Fliegen hervorgekrochen war, gegen alle Regeln und gegen die Erwartung. Damals hatte sie ebenso wenig verstanden, was geschah, dennoch war sie sicher gewesen, so wie sie es jetzt war, dass es dafür eine Erklärung geben musste. Aber sie kam nicht darauf. Es blieb für heute bei sich überlagernden Bildern, die allesamt verblassten, als sie endlich vor dem Tor des Volkamer’schen Anwesens stehen blieb. Sie straffte sich und rückte ihren Umhang zurecht. Nervös klopfte sie mit den Händen den Gassenschmutz vom Saum ihres zweitbesten Kleides. Es galt, einen guten Eindruck zu machen. Sie war als Wissenschaftlerin hier und wollte dem Vertrauen, das man ihr entgegenbrachte, indem man ihr die Tore zu diesem Privatgarten öffnete, in jedem Fall gerecht werden. Hastig überprüfte sie ihre zusammengeraffte Ausrüstung: das Netz, die Lupe, die Schächtelchen, das kleine Messer, mit dem sie den Raupen die passende Nahrung schneiden wollte. Sie hatte auch Feder, ein kleines Tintenset und Papier eingesteckt. Dass sie vorhatte, damit Volkamers Aussagen über Heuchlin zu Papier zu
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