Todesfalter
Magdalenas Mutter empfing sie mit besorgtem Gesicht. »Und?«
Maria rang nach Atem. »Es war, wie ich dachte«, berichtete sie, »Magdalena war bei der Hinrichtung. Ich habe sie da gesehen.«
»Ja, und …?«, begann Frau Fürst. »Was sollte sie denn da? Und wo …?«
»Das ist eine lange Geschichte. Aber eine viel wichtigere Frage: Habt Ihr hier im Haus mit dem Diakon Heuchlin zu tun?«
»Ja. Nein. Er kommt manchmal, ich meine … Warum?«
»Weil er Magdalena mitgenommen hat«, unterbrach Maria Sibylla die wirre Rede. »Ich dachte, er würde sie hier bei Euch abliefern.«
»Hier ist sie nicht.« Die Witwe Fürst starrte Maria auf die für sie typische, ratlose Weise an.
Da legte Maria ihr höflich, aber eindringlich nahe, sie möge jemand nach Sankt Sebald schicken und nach dem Diakon fragen lassen. Nach geraumer Zeit, in der Maria kaum still zu sitzen vermochte, während die Fürstin ruhig über ihrer Stickarbeit saß, kam die Magd wieder zurück, unverrichteter Dinge: Weder Heuchlin noch Magdalena waren dort oder irgendwo anders gesehen worden.
»Versteht Ihr das?«, wandte Maria sich verzweifelt an die Mutter.
Sie schüttelte den Kopf.
»Wir müssen etwas unternehmen.«
»Ach, ich weiß nicht.«
»Eure Tochter ist verschwunden.«
»Ja«, sagte die Fürstin langsam, als müsse sie noch über den Umstand nachdenken. »Aber doch in Begleitung eines Diakons.«
»Das ist es ja gerade!« Selbst wenn Maria bedachte, dass Magdalenas Mutter nichts von ihrem Verdacht gegen Heuchlin wusste, fasste sie es nicht, wie gleichmütig diese ihre Näharbeit wieder zur Hand nehmen konnte. Es war ihr klar, dass diese Frau die Letzte war, die ihr Glauben schenken würde, dennoch musste sie es wagen. Immerhin war sie Magdalenas Mutter. Sie musste die Fürstin davon überzeugen, dass der Rat davon erfahren und das Mädchen offiziell suchen lassen sollte.
Aber so unentschlossen und ratlos die Fürstin sonst wirkte, in diesem Punkt blieb sie hart. Mit wachsendem Missmut, anders konnte man es nicht nennen, lauschte sie Marias Ausführungen und zog ein Gesicht dabei, als würde man ihr ein ekelhaftes Insekt zeigen. »Das ist alles höchst unpassend«, war am Ende ihr Kommentar. »Nein, nein und nochmals nein. Unser guter Name ist alles, was wir als Witwe und Waisenkind noch haben. Ich werde nicht zulassen, dass er im Zusammenhang mit solch geschmacklosen Spekulationen genannt wird.«
»Riskiert Ihr lieber, dass Magdalena etwas geschieht?«
Die Fürstin richtete sich würdevoll auf. »Meiner Tochter wird nichts geschehen. Sie ist in Gottes Begleitung. Was bei Euch nicht gewiss ist, Gräffin. Bitte verlasst mein Haus.« Sie biss sich auf die Lippen und mäßigte ihren Ton ein wenig. »Geht in Euch«, fuhr sie milder fort. »Dann werdet Ihr merken, wie unsinnig das alles ist.«
Der Geschäftsführer des Fürst’schen Verlags, den sie anschließend aufsuchte, damit er seinen Einfluss auf die Witwe geltend mache, äußerte sich ebenso. Das Mädchen sei nun einmal eigenwillig und voller seltsamer Einfälle. Einmal habe man sie zwei Tage lang gesucht und dann auf dem Dachboden gefunden. Was sollten die Leute denn denken!
Es half alles nichts. Maria musste unverrichteter Dinge nach Hause gehen.
Dort hatten sich die Jungfern ihrer Companie bereits versammelt. So zaghaft sie sich im Fall Beata gezeigt hatten, so eifrig wollten sie sich nun um ihre Gefährtin kümmern. Sie beschlossen erneut auszuschwärmen, jede wollte sich einen Bereich aus Magdalenas Leben genauer ansehen, seien es Freunde, Verwandte oder Orte, von denen sie wussten, dass das Mädchen sie liebte.
Clara erklärte sich bereit, Heuchlin zu befragen, auch wenn sie ebenso wenig wie die anderen etwas von Marias Verdacht gegen den Geistlichen hören wollte. »Das wird sich klären«, sagte sie nur, als Maria versuchte, ihnen verständlich zu machen, wie sie zu ihrer Theorie kam. »Das wird sich alles klären. Mit Gottes Beistand.« Maria schnaubte. Ihr war klar, dass Clara Heuchlin mit Samthandschuhen anfassen würde. Lieber hätte sie dieses Gespräch selber mit ihm geführt. Aber Clara war die Einzige, die ihm gegenüber das Thema überhaupt anschneiden durfte, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Sie schützte der Name ihrer Familie. Und sie war geschickt im Umgang mit Menschen, Clara würde kein Aufsehen erregen.
Maria selbst hatte bereits eine Verabredung für diesen Tag. »Dr. Volkamer hat zugesagt, mir heute seine Gärten zu öffnen. Ich muss da
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