Todesfalter
unangemeldeten Besuch auf meine Kappe nehmen«, versprach er und legte seine Rechte aufs Herz.
»Na gut, ein Schluck kann nicht schaden, ich bin tatsächlich durstig.« Maria ging ihm voraus zu der Laube. »Vielleicht könnt Ihr mir ja auch weiterhelfen. Kennt Ihr den Diakon Heuchlin?«
Anna wehrte die aufgeregten Fragen der Jungfern ab, die nach und nach von ihren Erkundigungen zurückkehrten. Sie wusste doch auch nicht, wo die Herrin so lange blieb. Auch Clara war noch nicht zurück, ebenso fehlte immer noch Magdalena; denn niemand hatte ein Spur von ihr gefunden.
»Maria sichtet gerade Falter und befragt Volkamer, das immerhin wissen wir«, stellte Dorothea klar. »Aber das mit Clara ist mir ein Rätsel.« Sie schnippte sich mit dem Finger gegen die Lippe, wie immer, wenn sie konzentriert nachdachte. »Erst verschwindet Magdalena mit dem Diakon, dann Clara beim Diakon. Das ist schon eine seltsame Geschichte.« Sie schaute auf. »Am Ende hat Maria doch recht?«
Zweifel und Angst mischten sich in den Gesichtern. Nur Bärbel wagte eine Antwort. »Aber das würde er sich doch nie trauen!« Etwas kleinlauter fügte sie hinzu: »So am helllichten Tag.«
Es blieb eine Weile still.
»Jemand sollte hingehen und nachsehen«, meinte Susanna schließlich. »Aber nicht ich«, fuhr sie fort und rieb sich angelegentlich den rechten Fuß. »Stellt euch vor, mir ist in der Färbergasse ein Schwein mitten auf den Spann getreten.« Sie schaute mitleidheischend. »Das gibt einen blauen Fleck, ganz bestimmt.«
»Ich gehe«, erbot Barbara sich.
Aber Dorothea schüttelte den Kopf. »Und wenn du dann auch weg bist? Nein, wir gehen alle zusammen.«
Am Haus des Diakons jedoch wurden sie beschieden, das Fräulein Imhoff sei zwar hier gewesen, aber schon wieder gegangen. Heuchlin stand mit einem Mal selbst in der Tür und sah höchst missmutig drein. »Ich habe sie nach Hause geschickt, wo sie hingehört«, brummte er. Dabei ließ er seinen Blick über die kleine Schar wandern, als suche er einen Sünder. »Was starrt ihr mich so an?«
Als keine eine Antwort wagte, schlug er die Tür zu. Die Mädchen standen ratlos da. Plötzlich hörten sie über sich ein leises Knarren. Dorothea war schnell genug, um einen Schritt zurückzutreten und an der Fassade emporzusehen. Sie bemerkte gerade noch, wie im ersten Stock ein Fenster geschlossen wurde. Danach waren eilige Schritte auf einem hölzernen Flur zu hören, eine Frauenstimme rief etwas, dann war es still.
»Clara soll schon zu Hause sein?«, meinte Barbara, halb zweifelnd, halb kläglich. Konnten sie dem Diakon denn glauben? Wenn nicht, mussten sie sofort Alarm schlagen. Und davor fürchteten sie sich fast noch mehr als vor schlechten Nachrichten. Nach kurzem Beratschlagen machten sie sich auf zum Egidienplatz. »Wenn sie da nicht ist, gehen wir zu deinem Vater«, entschied Dorothea.
38
»Der Wein schmeckt köstlich«, stellte Maria nach einem kräftigen Schluck fest. »Aber Wasser ist nicht viel drin.«
»Dafür etwas Weihrauch und Muskat«, erklärte der Arzt. »Und noch ein paar andere Kräuter. Ich habe es mir angewöhnt, nach meinen Gängen aus dem Siechkobel einen Schluck davon zu trinken. Die Angst vor der Ansteckung weicht nie ganz.« Er berichtete Maria, die aufmerksam zuhörte, von seinen Pflichten als Arzt des Seuchenhauses. Manche der Insassen hätten Lepra, aber bei Weitem nicht alle. Manche litten unter namenlosen Krankheiten und wieder andere einfach nur unter ihrer Armut. »Ihr glaubt nicht, wie viele es gibt, die sich krank stellen, nur damit ich sie in den Siechkobel aufnehme und sie den Rest ihrer Tage sorgenfrei bei gespendetem Essen verbringen dürfen.«
»Sie nehmen es freiwillig auf sich«, wunderte sich Maria, »dass sie ihr Leben als Außenseiter und unter unheilbar Kranken verbringen?«
»Sie hungern«, erwiderte Peller. »Und Außenseiter sind wir alle, jeder auf seine Weise.«
»Ich würde die Herrschaft über mein Leben nicht so ohne Weiteres abgeben.« Da war Maria Sibylla sich sicher. »Auf Euer Wohl.« Nach einem kräftigen Schluck erhob sie sich. »Jetzt sollten wir aber wieder an die Arbeit gehen. – Oh!« Sie lachte. Schon war die Wirkung des Weines zu spüren.
Peller stand ebenfalls auf und hielt sie am Arm fest. »Und wenn ich Euch jetzt etwas sage?«, begann er, »etwas Wichtiges, etwas Persönliches. – Nein, keine Angst.« Er ließ sie vorsichtig los.
»Herr Doktor …«, wehrte Maria eilig ab und versuchte, sanft zu klingen,
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