Todesfee
etwas?«
»Er hat die junge Frau in der Nacht ihres Todes auf der Straße getroffen. Und er hat einen kleinen Eselskarren, mit dem er den Leichnam transportiert hat.«
»Er hat sie aber nicht in der Nacht getroffen«, berichtigte ihn Fidelma pedantisch. »Es war noch zwei Stunden vor Sonnenuntergang.«
Abt Laisran machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Es ist so, wie ich es sage. Motiv, Gelegenheit und Tatwerkzeug. Finn ist der Mörder.«
»Du irrst dich, Laisran. Du hast dem Flüstern der Toten nicht richtig zugehört. Finn kennt jedoch den Mörder.«
Abt Laisrans Augen weiteten sich entsetzt.
»Ich verstehe nicht …«
»Ich habe dir gesagt, dass du den Toten zuhören musst. Finn |45| hat recht. Conri, der Lord von Ballyconra, hat seine Frau ermordet. Ich denke, wir werden feststellen, dass auch das Motiv das war, das Finn genannt hat … das Vermögen, das seine Frau geerbt hatte. Conri wusste vielleicht bereits, dass Segnats Vater bald sterben würde, als er sie geheiratet hat. Sobald wir wieder in der Abtei sind, werde ich den Richter bitten, mit bewaffneten Leuten auszuziehen, um Conris Gehöft zu durchsuchen. Wenn wir Glück haben, ist es ihm noch nicht gelungen, ihre Kleidung und persönliche Habe zu vernichten. Ich denke, wir werden zudem feststellen, dass die schwarze Stute, die er geritten hat, genau die ist, auf der die arme junge Frau ihre tödliche Reise angetreten hat. Hoffentlich meint Echen das auch.«
Abt Laisran starrte Fidelma ausdruckslos an. Er wunderte sich, dass sie so ruhig blieb.
»Woher kannst du das bloß wissen? Das kann doch nur geraten sein. Finn hätte sie genauso gut töten können wie Conri.«
Fidelma schüttelte den Kopf.
»Denk doch an die tödliche Verletzung. Eine Nadel, die ihr unter dem Zopf in den Nacken gestochen wurde.«
»Ja und?«
»Gewiss, eine lange, dünne Nadel könnte das Tatwerkzeug gewesen sein, war es höchstwahrscheinlich auch. Wie hätte jedoch ein Fremder, ja sogar ein guter Bekannter wie Finn ihr eine solche Verletzung zufügen können? Wie hätte jemand die junge Frau dazu bringen können, ganz entspannt zu sein und keinen Verdacht zu schöpfen, wenn er den Zopf hochhob, um ihr dann plötzlich die Nadel in den Nacken zu stechen? Wer außer einem Liebhaber? Jemand, dem sie vertraute. Jemand, dessen zärtliche Berührung sie nicht misstrauisch machte. Da bleibt nur Segnats Liebhaber – ihr Ehemann.«
Abt Laisran seufzte schwer.
Fidelma fügte noch hinzu: »Sie ist in Ballyconra angekommen |46| und hat erwartet, dort einen liebenden Ehemann vorzufinden. Stattdessen ist sie auf ihren Mörder getroffen, der ihren Tod bereits geplant hatte, um an ihr Erbe zu kommen.
Sobald er sie getötet hatte, zog er sie aus, kleidete sie in die Bauerngewänder und legte den Leichnam auf einen der Karren, die seine Arbeiter für den Transport von gefärbten Kleidungsstücken benutzten. Dann fuhr er sie in den Wald, wo er hoffte, dass die Leiche ungesehen verwesen würde oder, selbst wenn man sie fand, nicht zu identifizieren wäre.
Er hatte vergessen, dass die Toten uns viele Dinge erzählen«, schloss Fidelma traurig. »Sie flüstern uns allerhand zu. Wir müssen nur lauschen.«
|47| EIN LEICHNAM AM FEIERTAG
Trotz der Meeresbrise aus Süden war es ein heißer Tag. Die Prozession der Pilger hatte den sandigen Strand hinter sich gelassen und stieg nun die steile Flanke des Hügels hinauf zur fernen Kapelle. In ehrfürchtigem Schweigen hatten sie vor dem uralten Granitstein des Heiligen Declan gestanden, einem Stein, von dem es hieß, er sei über das Meer gekommen und habe Gewänder und eine winzige Silberglocke mitgebracht. Hier an diesem abgelegenen Eckchen der irischen Küste hatte es ihn an den Strand gespült, und genau an dieser Stelle hatte ihn ein Kriegerprinz namens Declan gefunden, der wusste, dass Gott ihm auf diese Weise ein Zeichen gab, er solle den Neuen Glauben predigen. Und so begann er sein Missionswerk gleich hier, bei seinem eigenen Volk, den Déices des Königreiches Muman.
Seither stand dieser Stein dort. Der junge Klosterbruder, der die Pilger zu den Stätten führte, die dem heiligen Declan geweiht waren, hatte ihnen erklärt, wenn sie es schafften, unter dem Stein durchzukriechen, könnten sie vom Rheumatismus befreit werden, allerdings nur, wenn ihnen bereits alle Sünden vergeben seien. Keiner aus der Pilgerschar hatte es gewagt, den Beweis für die wundersamen Heilkräfte des Steins zu suchen.
Nun folgten sie dem Klosterbruder
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