Todesfee
jetzt hinein. Es können mich aber jeweils nur drei Personen begleiten, denn ihr seht ja, dass die Kapelle sehr klein ist. Im Inneren ist im Boden eine Vertiefung eingelassen, in der sich ein steinerner Sarg befindet. Diese Ruhestatt hat sich Declan selbst auf Anweisung eines Engels auserwählt. Dort liegen seine sterblichen Überreste, und durch die Mittlerschaft des heiligen Declan sind viele Zeichen und Wunder geschehen.«
Er stand mit geneigtem Haupt da, während die Pilger ihr respektvolles »Amen« murmelten.
»Wartet einen Augenblick hier. Ich gehe erst in die Kapelle und sehe nach, ob wir keine Beter stören. Heute ist der Festtag des Heiligen. Da kommen viele Leute her.«
Folgsam blieben alle bei der Mauer stehen, wie Bruder Ross sie gebeten hatte. Er machte sich auf den Weg zur Kapelle und verschwand in ihrem Inneren.
Wenige Augenblicke später kam er mit hochrotem Kopf wieder herausgestürzt. Seine Lippen bewegten sich, aber er brachte kein einziges Wort heraus. Schwester Fidelma und die anderen starrten ihn verwundert an. Der plötzliche Umschwung von stiller Ehrfurcht zu einer so heftigen Erregung verstörte sie. |51| Erst nach einer Weile würgte der junge Mann einige unverständliche Wortfetzen hervor. Dann sprudelte er in gehetztem Staccato seine Sätze los: »Er ist unverwest! Ein Wunder! Ein Wunder!«
Bruder Ross rollte wild mit den weit aufgerissenen Augen.
Fidelma trat einen Schritt näher an ihn heran. »So beruhige dich doch, Bruder!«, rief sie. Der scharfe Befehlston ihrer Stimme dämpfte seine Erregung ein wenig. »Was ist mit dir?«
»Der Leichnam des Heiligen … Er ist unverwest!«
»Was meinst du damit?«, wollte Fidelma verärgert wissen. »Du redest wirr.«
Der junge Mann schluckte und atmete einige Male tief durch, um die Fassung wiederzugewinnen.
»Der Sarkophag! Seine Deckplatte wurde zur Seite geschoben … und da liegt der Leichnam des heiligen Declan … und ist nicht verwest … wahrlich … ein Wunder … ein Wunder! Geht und verbreitet die frohe Kunde!«
Fidelma verschwendete keine Zeit damit, einen Sinn in den wirren Behauptungen des jungen Mannes zu suchen.
Sie ging rasch auf ihn zu, schob ungeduldig die Hand zur Seite, mit der er sie am Weitergehen hindern wollte, und trat in die Kapelle. Nur durch ein kleines Fenster fiel etwas Tageslicht herein. Fidelma musste einen Augenblick warten, bis sich ihre Augen auf das Dämmerlicht eingestellt hatten. Die beiden großen Kerzen auf dem Altar waren nicht angezündet, aber zu Fidelmas Überraschung brannte auf der Deckplatte des Sarkophags ein kurzer Kerzenstummel unruhig flackernd.
Die Steinplatte hatte die Vertiefung im Boden verschlossen, und man hatte sie schräg weggeschoben, sodass es möglich war, in das flache Grab zu schauen. Fidelma trat vor und blickte hinunter. Bruder Ross hatte recht: Es lag wirklich ein Leichnam darin. Aber es war nicht der eines Menschen, der vor zweihundert |52| Jahren hier bestattet worden war. Fidelma beugte sich hinunter, um ihn sich näher anzusehen. Sie bemerkte zweierlei: Ein Blutfleck glänzte noch feucht, und als sie die Stirn berührte, war die Haut noch warm.
Fidelma begab sich wieder nach draußen. Dort erging sich Bruder Ross aufgeregt in poetischen Beschreibungen. Die Pilger hatten sich um ihn geschart.
»Brüder und Schwestern, heute durftet ihr eines der Wunder des heiligen Declan miterleben. Der Leichnam des Heiligen ist nicht verwest und nicht verfallen. Geht zur Abtei hinunter und sagt es allen. Ich bleibe hier und halte Wache, bis ihr mit dem Abt zurückkehrt …«
Da merkte er, dass alle Pilger die Augen auf Fidelma gerichtet hatten, die mit grimmiger Miene näher getreten war.
»Du hast es auch gesehen, nicht wahr, Schwester?«, wollte Bruder Ross wissen. »Ich habe nicht gelogen. Der Leichnam ist unverwest. Ein Wunder!«
»Niemand betritt die Kapelle«, erwiderte Fidelma kühl.
Bruder Ross zog wütend die Brauen zusammen.
»Ich bin für die Pilger zuständig. Wer bist du, dass du hier Befehle erteilst?«
»Ich bin eine
dálaigh
. Meine Name ist Fidelma von Cashel.«
Der junge Mann blinzelte, weil sie mit solcher Schärfe gesprochen hatte. Er erholte sich rasch von seiner Verwunderung.
»Ob du nun eine Anwältin bist oder nicht, wir sollten die Pilger zur Abtei schicken, damit sie dem Abt Bericht erstatten. Ich warte hier … Es ist wahrhaftig ein Wunder geschehen!«
Fidelma wandte sich mit sarkastischer Miene zu ihm.
»Du weißt doch so viel über den
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