Todesfessel - Franken-Krimi
Spitalgasse im Schaufenster gesehen …
Charly seufzte innerlich und gab sich einen Ruck. Sensiblen Künstlern musst du Honig ums Maul schmieren. Auch wenn’s dir noch so widerstrebt …
»Sie sind ja in diesen zwei Jahren ein Aushängeschild für Coburg geworden. Die Abendzeitung schreibt heute: ›eine von Frankens Topadressen für exklusive Events‹. Wie sehen denn Ihre aktuellen Projekte aus, was steht demnächst alles an?«
Sofort entspannten sich Victors abweisende Züge wieder und wichen geschmeichelter Selbstgefälligkeit. »Tja, wo soll ich da anfangen, wo höre ich auf? Momentan läuft sehr gut mein Bodypainting auf diversen Messen und Festen. Werbefotografie als Kerngeschäft sowieso, dann natürlich die Theater- und Ballettfotografie … ich wurde ja vom Ballettforum auserkoren, den nächsten ›Süddeutschen Ballettkalender‹ zu gestalten … auch da reißt Kims Verlust eine ganz, ganz schmerzliche Lücke, ich hatte sie fest eingeplant … und allein für diesen Kalender bin ich jeden Monat zwei, drei Tage unterwegs …!«
Victor genoss es sichtlich, über seine Projekte sprechen zu dürfen. Er legte seinen glimmenden Zigarillo mit spitzen Fingern auf der Espressotasse ab, um gestenreich fortzufahren.
»Und beim nächsten Samba-Festival drehen wir ein ganz großes Rad, ich entwerfe eine Massenchoreografie für fünftausend Leute auf dem Schlossplatz; fünftausend bunte Tücher bilden erst den Coburger Mohren, dann eine Sambatänzerin und zum Schluss die brasilianische Nationalflagge!«
Tom hakte süffisant ein. »Massenchoreografie? Fünftausend Mann? Des bassd doch mehr nach China oder Nordkorea!«, sagte er provozierend.
Indigniert musterte Victor den Erlanger Kommissar von Kopf bis Fuß.
»Das müssen Sie schon dem Veranstalter überlassen!«, zischte er und nahm seinen Zigarillo wieder auf. »Das entscheidet zum Glück noch nicht die Polizei! … War’s das dann, meine Herren?«
Charly stellte sich taub. »Korea ist ein gutes Stichwort, Victor. Kim war Koreanerin – und ist in Korea die Trauerfarbe nicht Weiß?« Sein Blick schweifte über das makellos weiße Outfit des Paradiesvogels.
»Sehr aufmerksam, Herr Kommissar!« Ein huldvolles Lächeln des Meisters. »Gerade Momente des Schmerzes und der Trauer sollten wir doch mit Stil und Würde begehen! Auch Kim hat immer in Weiß getrauert; Weiß, die Farbe der Transzendenz und des Lichts, zu dem wir alle gehen … und werden!« Hingebungsvoll blies er den Rauch in Richtung eines goldfarbenen Riesen-Mobiles, das Steve, der lange Assistent, der gerade riskant auf einem Bistrohocker balancierte, an der Holzdecke zu befestigen suchte. »Kim würde sich im Grabe umdrehen, müsste sie diese schwarze, amorphe Trauermasse sehen«, stieß er hervor. Wieder legte er seinen Zigarillo ab, spannte weit seine Arme aus, wie zwei weiße Schwanenflügel. »Schwarz, das ist trostlos, hoffnungslos, tot – tot – tot!«
Charly beschränkte sich auf ernstes, bedeutungsschwangeres Kopfnicken. Behutsam lenkte er das Gespräch wieder in die gewünschte Bahn.
»Wobei die Zusammenarbeit mit Kim sicher auch nicht immer einfach war?«
»Volltreffer, lieber Herr Kommissar!« Der Zigarillo war endgültig ausgedrückt, Victor lümmelte sich mit angezogenen Beinen tief in die Couch hinein. »Es waren die üblichen Primaballerina-Allüren, sie kam ja von einer Berliner Bühne, war stur und sehr, sehr selbstbewusst! Na, und hier war sie natürlich Publikumsliebling. Das ist ihr manchmal zu Kopf gestiegen. Sie war ja auch schon länger hier als alle anderen im Ensemble.«
»Außer Nora«, warf Steve ein und sprang nach geglückter Mobile-Hängung wieder zurück auf festen Boden.
»Richtig, die Chefchoreografin! Sie kennen Nora Henderson?«
»Natürlich. War sie auch auf dem Atelierfest?«
Victor lachte, seltsam meckernd. »Natürlich nicht! Nora ist keine … glamouröse Person … aber unglaublich willensstark und absolut professionell. Genauso stur wie Kim, da gab’s manchmal echten Zickenalarm zwischen den beiden. Aber ich arbeite immer sehr gut mit ihr zusammen, ich habe sogar eine kleine Filiale, ein kleines Arbeitszimmer, in ihrem großen Haus in der Bergstraße.«
»Vic steht eben auf dominante, alte … Asexuelle!«, brummte Steve, gerade laut genug, dass alle es hören konnten, und flüchtete rasch in den Nebenraum.
Charly unterband rasch die drohende Eskalation.
»Shibari«, sprach er laut und geheimnisvoll in den Raum hinein, »Shibari! Sagt Ihnen
Weitere Kostenlose Bücher