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Todesfessel - Franken-Krimi

Todesfessel - Franken-Krimi

Titel: Todesfessel - Franken-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Backert
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Familienfotos und Porträts verschiedener Größen. Ein Farbfoto, dessen Kräfte langsam schwanden, über das sich ein leicht bräunlicher Schleier legte: Der stämmige, breitschultrige Bräutigam mit Dschinghis-Khan-Schnauzer und Backenbart, in Schlaghosen und auf Plateausohlen. Daneben Nora, schon damals mit schwarzer Pferdeschwanzfrisur, mit hellblauem Lidschatten und deutlichem Babybauch unter ihrem ärmellosen weißen Kleid. Charlys Blick wanderte weiter über die Fotosammlung. Der Bräutigam war nicht mehr vertreten, dafür rückte ein kleines Mädchen in den Vordergrund: einzeln ohne Nora. Mit Nora. Mit Nora und einem anderen Mann – »mein zweiter Gatte Colin Henderson, Ballettchoreograf an der Bayerischen Staatsoper«. Mit anderen Kindern bei der Einschulung, im Tutu, mit strahlendem Lächeln auf Spitze posierend.
    »Sie haben noch eine Tochter?«
    »Hatte.« Schlagartig verdüsterte sich Noras Blick. »Ninotschka … ich meine, Nina. Sie ist … verunglückt.«
    »Das tut uns leid, Frau Henderson. Hat sie … hat sie auch getanzt?«
    Aron verdrehte stumm die Augen. Falsche Frage vermutlich …
    »Getanzt?« Sie lachte unangenehm schrill auf. »Ob sie … getanzt hat? Kommen Sie mal mit, dann zeige ich Ihnen was!«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie in den Flur hinaus und blieb vor der letzten Zimmertür ganz hinten stehen. Sie kramte einen Schlüsselbund aus ihrem grauen Kapuzensweater und schloss auf. Charly bemerkte, dass ihnen auch Aron neugierig gefolgt war.
    »Das … ist meine Tochter!« Mit dramatischer Geste wies sie auf ein lebensgroßes Schwarz-Weiß-Poster einer hochkonzentrierten jungen Ballerina. »Ein Jahrhunderttalent«, hauchte sie.
    »Ninotschka – Für immer in unsterblicher Liebe.«
    Eine kranzlose Schleife zu Füßen des Bildes, links und rechts flankiert von einem Meer künstlicher Blumen in Vasen und Töpfen. Darüber, an der Wand, ein wahrer Wust von Erinnerungsstücken: Zeitungsausschnitte, Fotos, Ballettschuhe, Haargummis, Stulpen, ein Plakat. »Ballett der Bayerischen Staatsoper – Gala der Nachwuchspreisträger, 17. April, 20:00 Uhr. Solo: Nina Henderson.«
    »Ein Hausaltar.« Mit belegter Stimme sprach Aron aus, was alle dachten. »Das kannte ich ja noch gar nicht.«
    Nora ging nicht darauf ein. Sie knipste das Licht aus und schloss die Tür ab.
    Wieder gingen sie den langen, hohen Flur entlang Richtung Wohnzimmer. An der Treppe wollte sich Aron mit einem leisen »Wiederschau’n« davonstehlen.
    Charly konnte ihn gerade noch zurückhalten. »Moment, Herr Preile, nicht so schnell, wir brauchen Sie noch kurz!« Missmutig trottete Aron mit.
    »Wo waren Sie in der Nacht von Samstag auf Sonntag?«
    »Im Internet versumpft. Fernsehen ist nicht so mein Ding«, fügte er an und wies mit Daumen auf Nora. »Schon gar nicht zusammen mit ihr auf dem Sofa!«
    »Vielleicht bei Victor auf dem Sofa?«, fragte Tom provozierend. »Oder war der Meister auch unterwegs?«
    »Der Meister ist ständig unterwegs …« Aron linste verstohlen auf seine weiße Swatch-Armbanduhr. »Er muss ja seine Kalendertournee absolvieren.«
    »Kalendertournee?«
    »Er fotografiert doch für den nächsten ›Süddeutschen Ballettkalender‹. Ist jetzt ständig auf Achse, München, Nürnberg, Würzburg, jetzt noch Stuttgart, Hof …«
    Wieder wich Aron Charlys prüfendem Blick aus, suchte immer wieder Nora, die Tom jetzt in Beschlag genommen hatte.
    »Victor gefällt mir gar nicht in der letzten Zeit«, sagte er schließlich. »Fragen Sie mich nicht, warum. Das ist mir neulich schon aufgefallen, als Sie bei uns im Atelier waren. Ganz extreme Stimmungsumschwünge … wahrscheinlich wird der Stress langsam doch für ihn zu viel.«
    Nora schaltete eine altertümliche Stehlampe ein. Obwohl die Glocken von St. Augustin, weiter unten am Berg, gerade erst neun Uhr schlugen, verdunkelte die herannahende Regenfront den Himmel immer mehr. Weit hinten, bei Schloss Callenberg, zuckte ein Blitz herab. Mittlerweile war auch das Gespräch zwischen Tom und Nora verstummt. Ungemütliche Stille lastete für einen Moment im Raum.
    »Kennen Sie Ann-Sophie Langenau?«, wandte sich Charly wieder an Aron.
    »Nur aus der Presse. Und aus ihren«, wieder zeigte er auf Nora, »begeisterten Berichten natürlich.«
    »Ist sie so begeistert von ihr?«
    Aron winkte geringschätzig ab. »›Dieser tänzerische Ausdruck, in diesen jungen Jahren schon‹«, äffte er die Stimme seiner Mutter nach, »›wie meine Ninotschka!‹ Hast du doch

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