Todesfessel - Franken-Krimi
immer gesagt, stimmt’s?«
»Das ist … geschmacklos, Aron!« Nora saß kerzengerade, ihre Lippen waren nur noch ein Strich. Wieder zuckte draußen in der Ferne ein Blitz. Wie in einem schwarz-weißen US -Film, dachte Charly. Wir sind doch nur am Coburger Festungsberg … Er nickte Tom kurz zu, der sofort übernahm.
»Frau Henderson, die Eltern sagen, Sie waren Ann-Sophies großes Vorbild und ihre einzige Kontaktperson außer ein paar Schulfreundinnen.«
»Ich weiß nicht, was Sie mir damit unterstellen wollen!«
»Warum denn immer gleich in die Defensive, Frau Henderson? Gibt es dafür einen Grund?«
Charly klinkte sich wieder ein. »Ihrer Erfahrung nach, Frau Henderson – was könnte Ann-Sophie dazu bewegen, plötzlich abzuhauen? Hatte sie irgendein privates Problem, von dem ihre Eltern vielleicht nichts wussten, hat sie Ihnen etwas anvertraut?«
Sie schüttelte energisch den Kopf. »Ann-Sophie hat mir gar nichts anvertraut. Wir hatten keinen privaten Kontakt, ausschließlich künstlerischen.«
Charly überlegte.
»Fiel Ihnen rein künstlerisch etwas auf, tanzte sie in letzter Zeit unkonzentrierter, schlechter … oder umgekehrt, noch ausdrucksstärker als sonst?«
Wieder ein gebieterisches Kopfschütteln. »Gar nicht. Überhaupt nicht.« Draußen war erstes Donnergrollen zu vernehmen.
Charly seufzte. Seine Sitzfläche auf der englischen Ledercouch war endlich angewärmt, die Gesprächsatmosphäre dagegen unverändert frostig. Er entschloss sich zum Frontalangriff.
»Frau Henderson – Kim wurde sadistisch gefesselt und auf brutalste Art und Weise ermordet. Tanja Malischek muss den Rest ihres Lebens im Rollstuhl verbringen. Jetzt verschwindet mit Ann-Sophie Langenau eine Ballerina aus Ihrem engsten Umfeld – und Sie als Insiderin, als beste Kennerin der Szene, geben sich unwissend und ahnungslos, Sie haben keinen Verdacht und keine Idee. Das ist unerträglich, Frau Henderson! Genauso unerträglich wie die Vorstellung, dass sich Ann-Sophie jetzt in der Hand dieses Wahnsinnigen befindet und –«
»Hören Sie auf! Hören Sie sofort auf!«
»Wir fangen gerade erst an, Frau Henderson –«
Ein ohrenbetäubender Donnerschlag ließ alle zusammenfahren. Charly fing sich als Erster wieder.
»Ausgerechnet Ann-Sophie hat er in seiner Gewalt, ein Jahrhunderttalent – wie Ihre Ninotschka!«
Atemlose Stille. Nora war auf ihrem hochlehnigen Stuhl zur Salzsäule erstarrt. Heftiger Regen begann an die Fenster zu prasseln. Wie in Zeitlupe erhob sich die Choreografin, ohne Charly und Tom auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Verlassen Sie sofort mein Haus. Ich werde mich bei Ihrem Vorgesetzten über Sie beschweren und Herrn Staatssekretär Vöhringer einschalten. Ich fahre jetzt ohnehin gleich nach München. Aron, begleite die Herren zur Tür!«
»Schade, Frau Henderson, wirklich schade!« Charly steckte sein Notizbuch wieder ein und stand auf. » Der Körper hat etwas Heiliges . Erst recht der lebende Körper von Ann-Sophie Langenau. Bitte rufen Sie uns an, wenn Sie es sich anders überlegen.« Er warf eine Visitenkarte auf die schwere dunkle Anrichte und folgte Aron in den langen Flur.
»Wo ist eigentlich Herr Henze?«
»Der Herr Professor? Hat irgendwelche Termine in Düsseldorf. Kommt am Wochenende wieder … aber weil Sie mich danach fragen, mir geht schon die ganze Zeit etwas nicht aus dem Kopf, warten Sie bitte mal kurz, das muss ich Ihnen zeigen.« Aron huschte in das Zimmer, vor dem sie gerade standen, und kehrte gleich darauf wieder zurück. Ein absichernder Blick nach hinten Richtung Wohnzimmer, Nora war nicht zu sehen.
»Sie haben vorhin von sadistischer Fesselung gesprochen, schauen Sie sich das hier mal an! Ich habe kürzlich mal bei Henze im Zimmer gestöbert; wir konnten uns noch nie leiden«, fügte er entschuldigend hinzu und drückte Charly verstohlen eine DVD in die Hand. »Davon gibt’s übrigens eine ganze Schublade voll.«
Japanische Schriftzeichen.
Zwei nackte junge Frauen.
Beide kunstvoll gefesselt.
Shibari.
»Gefahr im Verzug – wir haben das sofort sichergestellt, Chef!« Charly stellte einen kleinen Karton voller DVD s und CD - ROM s, fein säuberlich durchnummeriert, geordnet und mit ein paar frischen Regentropfen benetzt, auf den Schreibtisch. Interessiert zog Ritter ein Exemplar heraus.
»Unglaublich … sechsunddreißig Stück … und alles japanisch …«
»Vermutlich im Internet bestellt. Tom und Gerald recherchieren schon.«
»Gute Arbeit, Kollegen!« Ritter
Weitere Kostenlose Bücher