Todesfessel - Franken-Krimi
stoppte kurz vor ihrer Leistenbeuge. Ann-Sophie schluckte vor Angst.
»Aber du wirst nicht in München tanzen … Du wirst nie mehr tanzen, Ann-Sophie …«
Ann-Sophie begann zu würgen und zu schluchzen.
»Sicher fragst du dich, wo deine Hose ist. Ich habe sie dir weggenommen. Du brauchst keine Hose mehr. Du wirst nie mehr eine Hose brauchen.«
Er wartete, bis ihr heftiges Schluchzen vor Erschöpfung verebbte. »Schschschtt, ganz ruhig, ganz ruhig …« Seine blutroten Lippen verzogen sich zu einer höhnischen Grimasse. » Ain’t it fun when you know you’re gonna die young … Kennst du Guns N’Roses? Nein, du kennst nur Tschaikowsky. Oder Strawinsky. Oder Milhaud. Du kennst nur böses Klavier, du lebst in deiner Traumwelt …« Sein Grinsen war wie weggewischt. »Und du verachtest die normale Welt, du verachtest alle, die nicht so sind, alle, die nicht so sein können wie du … Das werde ich nicht zulassen, so etwas werde ich nie mehr zulassen, hörst du, nie mehr! Drum muss ich dich … zer-stö-ren! Zerstören, bevor du dich selbst endgültig zerstörst und dann viele andere zugrunde richtest …«
Sie roch seinen säuerlichen Atem, angeekelt drehte sie ihren Kopf zur anderen Seite. Er registrierte es nicht und fixierte stattdessen einen imaginären Punkt an der Wand hinter ihr.
»Du sollst ganz langsam, Kleidungsstück für Kleidungsstück, deine … Anmut … und deine Überheblichkeit verlieren. Und du sollst spüren, wie du schwächer wirst und verfällst. Tag für Tag. Stunde um Stunde …« Er krallte sich plötzlich in ihren Oberschenkel, sofort verkrampfte sie sich voller Angst.
»Aber keine Angst, ich habe vorgesorgt … Für die kühlen Nächte kannst du dir was überziehen.« Er rieb sich die Hände. »Sicher hast du gehört, dass man im Brauhof letzte Woche eine Leiche gefunden hat. Diese fünfzigjährige Alkoholikerin, die drei Wochen tot in ihrer Wohnung lag …« Ann-Sophie starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
»Ich kam zufällig vorbei und habe dort einen kleinen Plastiksack mitgehen lassen. Mit der Wäsche, die sie die letzten drei Wochen am Körper trug. Du wirst heute Nacht in diese grässlich stinkende, verfaulte Unterwäsche schlüpfen … du wirst spüren und riechen, wie die Verwesung in deinen schönen jungen Körper kriecht … sich langsam in dir breitmacht … und von dir selbst Besitz ergreift …«
Ann-Sophie bäumte sich auf, ihr Kopf zuckte nach hinten, der Hals krümmte sich; er konnte ihr gerade noch rechtzeitig den Knebel lösen.
Klatschend erbrach sie sich auf den Betonfußboden.
13:59 Uhr – SOKO Franken, Lageraum
Die Spannung war zum Schneiden.
Dicht gedrängt standen die sechs Frauen und fünfunddreißig Männer der SOKO um den großen Flachbildschirm. Charly drehte den Plastikdeckel von seiner Colaflasche und lehnte sich an einen Schreibtisch.
Auf dem Bildschirm Bayerisches Fernsehen, der Abspann »Altbayerische Wanderungen, Teil 27: Im Pfaffenwinkel«.
»Und dafür zahlen wir unsere fränkischen Fernsehgebühren«, ereiferte sich Tom, »auch du, Bayernfan Richard!«
Fässla ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Dafür gibt’s ja auch des Studio Franken, Kolleech! Ned vergess’n!«
»Etz hör aber auf! Schau amal nach NRW rauf! Kleiner als dein stolzer Freistaat, aber der WDR hat elf verschiedene Regionalstudios! In Worten, elf! Ich würd ja nix sag’n, wenn unner Studio Franken genug Sendezeit aus München krieg’n tät!«
Ein fülliger Ansager mit Kringellöckchen und im dunklen Anzug erschien im Bild, hinter ihm ein Bild von Ann-Sophie: »Verschwundene Ballerina (16)«.
Charly griff zur Fernbedienung, drückte die Lautstärke hoch.
»Meine Damen und Herren, liebe Zuschauer des Bayerischen Fernsehens, wir bitten um Ihr Verständnis für eine aktuelle Programmänderung. Im Fall der verschwundenen Ballerina Ann-Sophie haben die Eltern überraschend eine Pressekonferenz angekündigt, die in den nächsten Minuten hier in München beginnen wird. Aufgrund des großen öffentlichen Interesses haben wir uns entschieden, unserem Bildungs- und Informationsauftrag in diesem Fall durch eine Live-Übertragung dieser Pressekonferenz nachzukommen. Die ursprünglich vorgesehene Folge unserer beliebten Serie ›Dahoam is dahoam‹ wird zu einem späteren Zeitpunkt ausgestrahlt. Wir schalten jetzt um in die Ballett-Akademie in der Wilhelmstraße.«
Eine alterslose Ansagerin, hochgeschlossen grau, mit staatstragend-ernstem Blick vor einer Tafel
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