Todesflirt
Blick. »Keine Ahnung. Können wir jetzt schlafen?«
Ich kniete mich hin, überragte ihn leicht und schüttelte ihn an den Schultern.
»Da ist irgendwie ein Handy unter deiner Matratze versteckt und du willst schlafen? Hast du sie noch alle?«
Wie ein kleines Kind setzte er erneut die Ellenbogen ein, um mich abzuwimmeln. Dann hielt er sich die Hände über die Ohren, ließ sich seitlich aufs Bett fallen und schloss die Augen. Na, super, vielen Dank auch!
Zorn kroch aus meinem Bauch, verbreitete sich rasant in meinem Körper und ich wusste, es bliebe nur Schreien oder Abhauen. Schnell griff ich nach meinen Klamotten, zog sie über und verließ seine Wohnung. Er versuchte nicht, mich aufzuhalten.
Die kühle Nachtluft pustete mein Gehirn durch. Plötzlich wurde mir klar, dass das hier keine gute Geschichte mehr war. Was hatte er so Schreckliches zu verbergen, dass er mich in keinster Weise an seinen Problemen teilhaben ließ? Hatte er doch ein Verbrechen begangen, das nun langsam ans Tageslicht kam? War der Handy-Verstecker jemand, der sein Geheimnis kannte und drohte, ihn auffliegen zu lassen? Vielleicht hätte ich ihn doch endlich auf die Postkarte ansprechen müssen. Und ihm erzählen, wie leicht es war, in seine Wohnung einzusteigen. Nein, Tabea, redete ich mir ein. Das ist nicht dein Problem, lass ihn einfach in Ruhe. Aber Scheiße – ich hielt an, stemmte meine Füße fest gegen die sandige Erde des Feldwegs, beugte mich weit vor, legte das Kinn auf den Lenker. Vielleicht braucht er wirklich Hilfe. Vielleicht konnte er gerettet werden, wenn ich zu ihm stand. Vielleicht …
Die ersten Regentropfen trafen mich auf den Schultern, im Gesicht. Erst jetzt bemerkte ich, wie dunkel der Nachthimmel war. Dort drüben, Richtung Westen, ballten sich Wolken, fett und schwer. Der Wind frischte auf, ich fröstelte und trat wieder in die Pedale, schneller und schneller. Ein Blitz zuckte, anschließend sofort ein krachendes Donnern. Ich sah uns über das Feld laufen, die Kinder auf dem Arm. Voller Verbundenheit. Dann die Scheune, eine Insel im Weltengetümmel. Seine Lippen auf meinen. Der Regen vermischte sich mit meinen Tränen, schmeckte auf einmal salzig. Ich konnte kaum noch etwas sehen, zitterte, klammerte mich am Lenker fest. Endlich kam die Gärtnerei in Sicht. Ich hielt an. Sollte ich umdrehen, zurückfahren? Der Regen wurde immer dichter, die Tropfen immer größer. Nur das Donnern grollte aus weiterer Ferne. Ich war komplett nass. Morgen würde ich ihn anrufen. Aber das ging ja nicht. Ein Mensch, der nicht existierte, wenn er nicht bei mir war und ich ihn berühren konnte. Wie sollte ich nur diese Mauer überwinden, die er um sich errichtete und die von Tag zu Tag ein Stückchen höher wurde?
»Wieso bekommt man eigentlich deinen Daniel nie zu Gesicht«, begrüßte mich mein Vater am Sonntag, als ich um kurz vor zwölf in der Küche auftauchte.
»David, Papa, er heißt David.«
Ich gähnte und irgendwie war mir immer noch kalt.
»David, na gut. Mag er uns nicht?«
»Ihr seid ihm einfach zu viele«, entgegnete ich. »Ist ein Einzelkind, da ist er nicht gewohnt, mit so vielen Leuten an einem Tisch zu sitzen.«
Damit gab sich mein Vater allerdings nicht zufrieden.
»Aber ich würde ihn gerne etwas näher kennenlernen.«
»Lass sie doch«, schaltete sich meine Mutter ein. »Erst mal müssen die beiden sich richtig kennenlernen, dann sind wir dran.« Im Moment war ich ziemlich unsicher, ob ich David tatsächlich noch näher kennenlernen wollte. Und trotzdem pochte schon wieder etwas wie Sehnsucht in meinem Herzen.
»Gehen wir nachher laufen?«, fragte Juli, setzte sich neben mich an den Tisch und rührte den Zucker um, den ich in meinen Kaffee schüttete. Sie lehnte sich an mich und sah mich aus ihren warmen braunen Augen bittend an. Ich schob ihr die Brille auf dem Nasenrücken ein wenig nach oben und lehnte meine Stirn gegen ihre.
»Na klar, Kumpel«, sagte ich. Laufen würde mir heute guttun. Meinen Atem hören, meinen Herzschlag spüren, die Kraft in meinen Beinen und die Natur tief einatmen.
»Bis zum See!«, forderte Juli und ich versprach es ihr.
Nach dem nächtlichen Gewitter war die Luft wieder klar und es war nicht so schwül wie in den letzten Tagen. Juli hopste vor mir über den Weg und ich musste sie mehrmals ermahnen, sich ein bisschen zu konzentrieren. Gerne blieb sie zwischendurch auch mal stehen und pflückte ein paar Blumen oder Gräser ab. Sie versuchte, mich mit den Grasstängeln zu
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