Todesflirt
dann spielen sich die Szenarien ab in seinem Kopf, wie es sein könnte – wenn er endlich frei wäre, wenn er offen seine Ansichten darlegen könnte, wenn das die allgemein akzeptierte Meinung wäre und die anderen sich verstecken müssten. Wenn sich endlich alle fürchten müssten vor ihm, dem Herrn über Leben und Tod.
7. Kapitel
Irgendwie schien dieser Sommer eine nicht enden wollende Pechsträhne zu sein. Obwohl Annegret wieder da war und auch sonst keiner krank oder sonst wie fort, war die Stimmung beim Springseil e. V. mies. Die Schneider hatte an allem was auszusetzen, meckerte mit uns und fuhr die Kinder an, sobald sie ein bisschen zu schnell durch den Gang liefen. Jessica und Renate verlegten sich darauf, noch mehr zu tuscheln als sonst schon üblich, nur Annegret bemühte sich, gute Laune zu verbreiten. Die hatte ja auch sechs Wochen Erholung hinter sich. Irgendwie wurde mir immer klarer, dass ich mir hier keine berufliche Zukunft vorstellen konnte. Kindergärtnerinnen waren zwar gesucht – aber die Bezahlung war mehr als schlecht, die Arbeit richtig anstrengend und wie viele Geschichten kannte ich inzwischen von Erzieherinnen, die von ihren Kolleginnen und Vorgesetzten fies gemobbt wurden. Nee, nee, nichts für mich. Vielleicht lieber Jura. Um die Mobbing-Opfer zu vertreten. Oder doch Journalismus? Um die Missstände aufzudecken. Mal sehen.
Wenigstens waren die Kinder gut gelaunt, und als wir am Nachmittag die Wasserstelle im Garten freigaben, waren sie nicht mehr zu bremsen. Im Sand wurde gemoddert, was die Schaufeln hergaben, die mit Sonnencreme verschmierten Gesichtchen leuchteten in der Sonne und das Wasser perlte von ihren kleinen, runden Bäuchen ab. Überall wurde gejuchzt und gekichert.
Plötzlich stand David zwischen den Kindern. Augenblicklich bildete sich eine Traube um ihn und alle zerrten an seinen Armen und riefen im Chor: »Da-vid, Da-vid, Da-vid!« Er ließ es grinsend über sich ergehen, befreite sich aber irgendwann und versuchte, ihnen klarzumachen, dass er gekommen war, um die quietschende Tür des Kastens zu reparieren, in dem die Müllcontainer standen. Natürlich konnte er keinen Handstreich unbeobachtet machen. Ungefähr zehn kleine Aushilfshausmeister begutachteten und kommentierten seine handwerklichen Versuche. Wie gerne hätten sie das Öl in die Scharniere gekippt.
Erst als er mit seiner Arbeit fertig war, nahm er Blickkontakt mit mir auf. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht ganz deuten – er lag irgendwo zwischen Ernst, Flehen und einer Spur Arroganz. Als wolle er mir klarmachen, er käme nicht als Bittsteller. Ein bisschen »What you see, is what you get« lag in seinen Augen.
Aber was sah er wohl in meinem Gesicht? Wut? Eher Trauer. Enttäuschung? Eher Zweifel. Ob er auch die Sehnsucht sah?
Jedenfalls kam er auf mich zu. Mir schnürte eine kalte Hand die Kehle zu. Was sollte ich ihm sagen?
»Tabea«, begann er. »Können wir uns heute Abend sehen? Ich hol dich nachher ab, wenn du fertig bist, ja?« Das »Bitte« las ich in seinen Augen. Schon nickte ich, keine Sekunde hatte ich nachdenken müssen. Wie gerne hätte ich ihn geküsst, jetzt, sofort, vor dem ganzen Kindergarten. Aber ich hielt mich zurück. Unauffällig berührten sich unsere Finger, versprühten unsichtbare Funken.
Als ich den Kindergarten verließ, stand er nicht am Eingang. Unschlüssig ging ich ein paar Schritte auf und ab. Die Sonne sengte erbarmungslos vom Himmel hinunter. Ich spielte mit dem Handy in meiner Hand, sah mir meinen Facebook-Acount an und stellte fest, dass Annika jetzt mit diesem ätzenden Torsten befreundet war. Pubertäre Hormonverwirrung ersten Grades! Aber wenigstens war der Typ nicht so technikfeindlich wie der Mann meines Herzens. Wenn David es ernst meinte, dann würde er sofort mit mir in die Riem-Arkaden gehen und sich ein Handy kaufen. Hatte er mich vergessen? Einen Unfall gehabt? Es sich anders überlegt? Scheiße, war das nervtötend.
Als ich gerade mein Rad aufschloss, um loszufahren, kam er um die Ecke gerannt. Er keuchte, hielt sich die Seite und wedelte mit den Armen.
»’tschuldigung«, rief er schon von Weitem. »Mein Fahrrad …« Ich sah ihn fragend an.
»Die Reifen sind aufgeschlitzt. Ich musste den Bus nehmen und natürlich 20 Minuten warten, bis einer kam.«
»Aufgeschlitzt? Wer macht denn so was?«
»Keine Ahnung.«
»Vom selben, der dir das Handy unters Bett geschmuggelt hat?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Glaub ich nicht. Irgendwelche
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