Todesflirt
Und ich konnte nichts dagegen tun. Ich würde unweigerlich mit versinken. Und ob es je wieder einen Sonnenaufgang geben würde, schien mir sehr ungewiss.
»Scheiße«, sagte David und wurde blass. Dann schwoll die Zornesader an seiner Schläfe wieder an. Wie ich es inzwischen kannte. Und was er nun sagen würde, war mir auch klar.
»Dieser Wichser!«
Er drückte mir das Handy in die Hand, kickte ein Steinchen weg und ließ sich auf einen Holzbalken rund um eine der letzten Baugruben in der Messestadt sinken. Ich betrachtete noch einmal das Foto. Es zeigte Davids Zimmer. Von schräg oben, schätzte ich. Man erkannte den Schreibtisch, der Esstisch war schon etwas abgeschnitten. Besonders gut sah man das Bett. Mit zerwühlten Decken. Und zwei Körpern darauf, unsere Körper. In diesem Moment hatte jemand auf uns geschossen. Zwar nur mit einer Kamera, aber die Erschütterung war wie die eines Projektils.
»David«, schnaubte ich. »Ich will das nicht mehr. Ich kann das nicht mehr. Bitte sag mir, was da passiert! Bitte, ich geh sonst drauf!«
Ich weiß nicht, ob er mich überhaupt gehört hatte. Er riss das Handy an sich, drückte wild auf den wenigen Tasten herum.
»Wie löscht man das?«, schrie er. »Lösch das! Sofort!«
»David«, mein Ton flehend. »Bitte!«
»Das will er doch nur, dieser Bastard, dieses Schwein! Er will, dass wir uns in die Hose machen vor Angst.« Mit weit aufgerissenen Augen sah er sich um. »Wir lassen uns keine Angst machen von dir«, schrie er laut. »Ich werde dich fertigmachen! So was von fertig! Du wirst nach deiner Mama schreien, du Hurensohn!«
Ein älteres Ehepaar sah sich verängstigt um und beschleunigte seinen Schritt. Ich zerrte David am Ärmel. »Komm, wir fahren zu mir«, sagte ich und zog ihn weiter in Richtung Bushaltestelle. Unsere beiden Fahrräder waren noch nicht repariert. Zum Glück mussten wir nicht allzu lange warten. Wir setzten uns ganz nach hinten. David stierte brütend zum Fenster hinaus. Ich klammerte mich an seinem Arm fest, das Handy in der Hosentasche kniff mich wie ein Messer. Nervös fuhr ich mit den Fingern über meinen Kopf. Das Jucken wurde immer schlimmer. Sicher vor Stress.
Wer war das? Wer hatte die Macht, mich in meinen intimsten Momenten zu beobachten? Niemals mehr würde ich in diese Wohnung gehen, schwor ich mir. Dann fiel mir etwas ein. Ich nestelte das Handy hervor, klickte darauf herum. Vergebens. Das Foto war natürlich von einer unbekannten und unterdrückten Nummer gesendet worden.
Keine zehn Minuten davor hatte der Abend wie eine süße Versprechung vor mir gelegen. Und jetzt wartete nur graue, finstere Benommenheit auf mich.
Wie ferngesteuert ging David neben mir her, als wir von der Bushaltestelle zur Gärtnerei hinüberliefen. Vielleicht war es doch keine gute Idee, ihn mitzunehmen. Und was, wenn wieder Annikas seltsamer Freund da wäre? Doch wir hatten Glück. Annika war mit ihm irgendwo in der Stadt unterwegs. Meine Mutter sah mich forschend an, als wir den Verkaufsraum durchschritten und uns nach hinten in den Garten verabschieden wollten.
»Du kannst gerne mit dem Abendessenkochen anfangen«, rief sie mir nach und ich war froh, dass sie nicht nachfragte, was los sei.
Eigentlich kam mir der Auftrag ganz gelegen, denn so hatten David und ich wenigstens etwas zu tun. Wir schnitten Salat und Zucchini im Garten ab und einen kurzen Moment freute ich mich, weil wir sogar leuchtend orange Zucchini-Blüten ernten konnten. Mit Schafskäse gefüllt und knusprig angebraten schmeckten sie besonders gut. Mechanisch zupfte David Salbei und Thymian ab. Es war, als würde er nur noch inwendig existieren. Sein Körper nicht mehr als eine starre Hülle. Ich berührte seine Schulter. Keine Reaktion. Ich zog ihn hoch von der Kräuterspirale, schubste ihn sanft in Richtung Küche.
In der Tür lehnte Juli und sah uns lachend entgegen.
»Tabi«, sie winkte. »Tabi, ich hab so Hunger. Jetzt gleich kochen, ja?«
Ich nickte wortlos, sie hakte sich bei mir ein, als ich an ihr vorbeiging. David sank auf einen Stuhl am Küchentisch und stierte auf das Gemüse, das vor ihm lag. Juli stand neben mir am Herd und beobachtete ihn schweigend.
»Ist er traurig?«, fragte sie mich dann und versuchte zu flüstern, was ihr nicht wirklich gelang.
»Jemand ist gemein zu ihm«, erklärte ich, füllte einen Topf mit Wasser und tat eine Prise Salz dazu. Juli ging langsam zu David, setzte sich auf den Stuhl neben ihm und fing an, seinen Unterarm zu streicheln. Er
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