Todesflirt
Handy bei mir meldete – ich glaube, es war das erste Mal, dass ich mit ihm telefonierte. Nein, sein Anschluss ginge immer noch nicht, er telefonierte vom Büro des Vereins aus. Er entschuldigte sich für seinen überstürzten Abgang am Vortag und versprach, mich heute pünktlich abzuholen, damit wir Berivan und ihre Eltern besuchen konnten. Da die Schneider glücklicherweise Schlafwache bei den Kleinen hatte, konnte ich ungehindert ins Büro schleichen und Berivans Adresse herausfinden. Wahrscheinlich hätte ich das gar nicht so heimlich tun müssen, aber ich kam mir heute gern vor wie ein Spion.
David zog mich fest in die Arme, als ich nach einem scheinbar endlos langen Nachmittag aus dem Kindergarten herauskam. Sein Körper fühlte sich sonnenwarm an und die Nase war ein klein wenig rot verbrannt. Ich küsste ihn behutsam.
»Okay?«, fragte ich. Er nickte. Auf dem Weg zu Berivan, die nur zwei Querstraßen entfernt in der Lehrer-Wirth-Straße wohnte, tauschten wir uns über die eher belanglosen Ereignisse des Tages aus. David sagte, er vermisse die Arbeit mit den Kindern, dieses reine Handwerker- und Bürodienstdasein turne ihn voll ab.
Schließlich standen wir vor dem weißen, vierstöckigen Haus mit den schmalen Laubengängen vor den Wohnungstüren. Wir mussten etwas suchen, bis wir »Rahimi« auf dem Klingelbrett fanden. Mein Zeigefinger stand einen Augenblick zögernd in der Luft. Ich sah David aufmunternd an und dann klingelte ich.
»Hallo?«, quietschte kurz darauf eine piepsige Kinderstimme.
»Hallo Berivan«, sagte ich. »Hier ist Tabea. Ich möchte dich gerne mal besuchen kommen.«
»Okay«, sagte sie ganz profimäßig und der Türsummer surrte.
Der Lift war außer Betrieb, im ganzen Haus duftete es nach asiatischen Gewürzen und wir stiegen die Stufen Hand in Hand nach oben. Durch eine Glastür ging es vom Treppenhaus hinaus zu den Wohnungen
»David«, schrie Berivan und lief durch den Laubengang auf uns zu. David machte schon Anstalten, sich hinzuknien und seine Arme für das Mädchen zu öffnen, aber dann blieb er steif stehen, wusste nicht, wohin mit seinen Händen, und schob mich schnell vor sich, damit Berivan ihn nicht stürmisch umarmen konnte. Ich ging schnell in die Hocke und fing sie auf.
»Will zu David, will zu David«, rief sie und strampelte. Ich hörte David leise »Hallo« sagen und bemerkte Frau Rahimi im Türrahmen.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte ich und wir gingen auf sie zu. Berivan tanzte um uns herum, versuchte, Davids Hand aus der Hosentasche zu ziehen, in der er sie verborgen hielt. Auf Frau Rahimis Gesicht erschien ein kleines Lächeln, das ihre dunklen Augen zum Leuchten brachte.
»Kommen Sie rein«, sagte sie freundlich. »Vielleicht ist es gar nicht schlecht, dass Sie kommen.«
Die Wohnung war eng und ziemlich vollgestellt. Berivans Mutter geleitete uns ins Wohnzimmer, wo eine riesige hellbraune Sofalandschaft den kleinen Raum beherrschte. In schwarzen Regalen viele Karaffen und Gläser, alte Stücke, wie es schien, ein großer Flachbildschirm an der Wand, auf dem Boden jede Menge Teppiche.
»Möchten Sie etwas trinken?« Wir bejahten.
Berivan hatte inzwischen Davids Hand erobert und zog ihn auf das Sofa. Frau Rahimi nickte ihm aufmunternd zu. Als sie mit quietschbunten Plastikbechern und einer großen Karaffe Wasser zurückkam, hatte sich David bereits ein wenig entspannt. Berivan hüpfte wie ein Flummi auf dem Sofa herum und sang uns ein Lied vor, dass wir heute Morgen im Morgenkreis gelernt hatten. »Fünf kleine Fische, die schwammen im Meer …«, plärrte sie.
»Sch, Berivan«, sagte Frau Rahimi und dann folgte etwas in einer Sprache – Persisch vielleicht? –, die weich und streng gleichermaßen klang. Berivan jedenfalls hörte mit dem Rumgehüpfe auf und ließ sich neben David fallen.
Ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte, aber während Frau Rahimi das Wasser einschenkte und uns einen Teller mit Baklava hinschob, ergriff sie schon das Wort.
»Ehrlich gesagt, konnte ich mir nicht vorstellen, dass an diesen Behauptungen …,« sie zögerte. »Und wenn ich jetzt Berivan sehe … Bei uns sagt man: Die Füße gehen dorthin, wo das Herz hingeht.«
»Danke für Ihr Vertrauen«, presste David hervor und trank ein paar Schlucke aus seinem Glas. »Es tut mir sehr leid, dass das alles geschehen ist. Ich glaube, da gibt es jemanden, der mir übel mitspielen will – und leider gehören Sie dadurch zu den Mitbetroffenen. Das ist echt furchtbar
Weitere Kostenlose Bücher