Todesflirt
Waschmaschine liegen. Genau!, dachte ich. Es war Sommer, es war heiß und meine Haare sowieso recht kurz. Dann konnten sie auch gleich ab. Dann hätten die Läuse nichts mehr, woran sie sich festhalten könnten. Die Haare würden schnell nachwachsen. Ich atmete tief durch und schaltete den Rasierapparat ein. Im nächtlichen Haus schien er mir so laut wie Hubschrauberrotoren. Einen Moment zögerte ich, dann setzte ich ihn an. Dunkle Haare fielen in das weiße Waschbecken. Mitten über meinen Schädel verlief eine Spur wie von einem Rasenmäher im Gras. Von den Haaren blieben etwa drei Millimeter stehen, der Rest kam ab. Immer schneller fuhr ich mit dem Gerät über den Kopf, stellte mir vor, wie ich die Läuse massakrierte, ein furchtbares Gemetzel unter ihnen anrichtete – und ich war froh darüber. Erst als die letzten Haare ins Waschbecken gefallen waren, sah ich mich bewusst an. Was für riesige braune Augen ich hatte. Und wie tief sie im Gesicht saßen. Verletzlich sah das irgendwie aus. Schutzlos, nackt. Ich fuhr mit den Fingern über die Stoppeln. Das fühlte sich schön an. Ich sah einige rote Stellen, wo die Läuse gesaugt hatten, vor allem im Nacken, wie ich in den zwei aufgeklappten Seitenspiegeln des Badezimmerschrankes erkennen konnte. Ich machte das Waschbecken sauber, stopfte die Haare in eine Tüte und warf sie mitsamt dem Kamm in den Müll. Erschöpft ließ ich mich auf den Badewannenrand fallen und fuhr mit den Fingern über meinen neuen Kopf. Das Jucken schien schon nachgelassen zu haben.
Am nächsten Morgen – glücklicherweise war Samstag – erwachte ich, weil Finger über meinen Po wanderten. David schmiegte sich an meinen Rücken. Er küsste meine Schultern, dann zog er mir das Kissen vom Kopf, das ich mir gegen die Helligkeit dorthin gelegt hatte. Er küsste meinen Hals, seine Finger fuhren über meine Hüfte – und hielten mitten in der Bewegung inne.
»Scheiße«, stieß er aus. »Was ist mit deinen Haaren?« Verschlafen blinzelnd drehte ich mich zu ihm um und grinste.
»Neuer Look, gut, oder?«
David setzte sich auf, rutschte von mir weg.
»Nee, Kacke, das geht gar nicht«, meckerte er, als hätte ich ihn mit der Frisur persönlich beleidigen wollen.
»Sieht so schlimm aus?«
»Darum geht es doch gar nicht«, sagte er, sprang auf und kletterte in seine Klamotten, die um das Bett herum verstreut lagen.
»Wo willst du denn jetzt hin?«
Er hielt inne, mit nacktem Oberkörper stand er da, sah auf mich herunter und sein Blick war finster, als habe man das türkise Licht seiner Iris ausgeknipst.
»Beruhig dich, Mann. Ich hatte Läuse. Ich hoffe, du hast keine«, sagte ich noch, aber da war er, das Hemd über der Schulter, die Schuhe in der Hand, schon zur Tür raus. Nur ein weißes T-Shirt war neben dem Bett liegen geblieben.
»David«, schrie ich ihm hinterher. Doch seine Schritte auf den Stufen zögerten keinen Moment.
»Kacke«, schrie ich auf die Bettdecke einschlagend und fiel zurück in die Kissen. Was war denn jetzt schon wieder los?
Er wacht auf. Schweißgebadet. Wieder dieser miese Traum. Er hat ihn lange nicht gehabt. Warum jetzt? Er spürt die Klauen, die allein aus Bildern in seinem Kopf entstehen, wie Messer in seinem Nacken. Der völlig verspannt ist. Er knetet die Muskulatur mit den Fingern durch, gibt sich dem Schmerz hin. Er starrt an die kahlen Wände des kleinen Zimmers, das man ihm zur Verfügung gestellt hat. Als ob die braunen Augen in den Mauern lauern. Er reibt sich mit den Fäusten die Augäpfel, fest und immer fester. Wie als Kind. Um die Tränen zurückzudrängen. Wenn der Vater fertig war, den Gürtel durch die Schlaufen zog und die Striemen auf der Haut zu brennen begannen. Nein, er richtet sich auf, schüttelt den Schlaf fort, den Traum, die Erinnerung. Er ist nicht mehr zehn Jahre alt und muss auf einem Stuhl sitzend die Nacht auf dem Balkon verbringen. Doch diese Mischung aus Verzweiflung und Stolz, die ihn nach solchen Nächten überfiel, schmeckt er noch immer auf der Zunge. Süß und bitter, weich und hart. Die weichen, süßen Aromen blassen aus. Es bleibt das zurück, wie er sich selbst sieht. Wie ihn die andern sehen sollen. Er steht auf, greift nach der Hantel, die neben dem Bett liegt. Den Hunger ignoriert er. Er spürt nur noch die Muskeln unter seinen Oberarmen. Sieht, wie sich das Tattoo entfaltet, zusammenzieht, entfaltet, zusammenzieht. Das Tattoo, das der Dunkelheit gehört. Denkt an den Helden seiner Kinderzeit, seiner Jugendzeit, den
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